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Sehr geehrter Innensenator ...

Deutsche Schülerinnen schreiben an den Innensenator und setzen sich für ihre Mitschülerin ein, die mit ihrer Familie nach Vietnam abgeschoben werden soll  ■ Von Marina Mai

Das Carréecafé in Marzahn ist ein beliebter Treffpunkt für Teenager. Hier kann man ungestört einen Tee oder Kakao trinken und über Musikstars und Schule quasseln. Anja, Hang und Jenny aus der 9d der 2. Realschule stehen auf Michael Jackson und finden Heavy metal blöd. Einen Berufswunsch hat noch keine der drei Freundinnen. Sie wissen, daß es ohnehin schwer sein wird, eine Lehrstelle zu bekommen. Im Unterschied zu Anja und Jenny hätte Hang nicht einmal das Recht auf eine Berufsausbildung. Ihr droht die Abschiebung.

Vor drei Jahren holte Hangs Mutter Nguyen Thi Phoung, die als vietnamesische Vertragsarbeiterin in der DDR von Mann und Kindern getrennt leben mußte, Hang und ihre jüngere Schwester nach Marzahn. Die Ehe mit Hangs Vater ging durch die lange Trennung in die Brüche. Hangs Mutter arbeitete als Imbißverkäuferin, die Töchter gingen in Marzahner Schulen. Ein Jahr später verlor jedoch Frau Phoung Aufenthaltsrecht und Arbeitserlaubnis. Der Grund: 1991, nachdem ihr „Vertragsbetrieb“ sie entlassen hatte, ließ sie sich auf den Handel mit unversteuerten Zigaretten ein. Sie wurde erwischt, zu 20 Tagessätzen verurteilt und ist damit vorbestraft. Ehemalige Vertragsarbeiter bekommen aber nur eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie absolut straffrei sind. Jedenfalls in Berlin.

Daß Frau Phoung und ihre Töchter bislang dennoch hier leben, „verdanken“ sie allein der Tatsache, daß Vietnam seine Staatsbürger nicht so ohne weiteres zurücknimmt. Als jedoch vor einem Jahr das Rückübernahmeabkommen geschlossen wurde, setzte die Ausländerbehörde diese Minifamilie mit als erstes auf die Abschiebeliste. Die Abschiebung ist noch für 1996 vorgesehen, die Formalitäten sind bereits eingeleitet.

Phoung hat gegen die Ausweisung vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht geklagt. Ohne Erfolg. Die Gerichte vertraten die Auffassung, wegen der besonderen Schwere der mit dem Zigarettenhandel einhergehenden Begleitkriminalität sei die Ausweisung aus generalpräventiven Erwägungen heraus gerechtfertigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Auffassung zwar kürzlich relativiert, aber dieses Urteil kam für Frau Phoung und ihre Töchter zu spät. Auch die mit Unterstützung der „Reistrommel e.V.“ eingereichte Petition an die Härtefallkommission des Senats blieb für die alleinerziehende Mutter und ihre Töchter erfolglos. Jetzt hat der Ausländerbeirat Lichtenberg sogar eine Petition für Frau Phoung sowie für zehn weitere vietnamesische Familien an den Bundespräsidenten eingereicht. Die Antwort steht noch aus.

Mit Hang im Carréecafé zu sitzen, ist für Anja und Jenny etwa so selbstverständlich wie das morgendliche Zähneputzen. Daß es Mitschüler gibt, die mit Ausländern nichts zu tun haben wollen, wissen sie, können es aber nicht nachempfinden. Und da man Selbstverständlichkeiten nicht in Frage stellt, haben sie nicht ernsthaft mit der Abschiebung ihrer Freundin gerechnet. Hang war es peinlich, darüber zu sprechen, denn dann müßte sie sagen, daß ihre Mutter einmal Zigarettenverkäuferin war. Und die haben keinen guten Stand, weiß Hang.

Als die Freundinnen Hangs Situation schließlich erfuhren, wollten sie ihr helfen. Aber wie? Sie haben in einem offenen Brief an Innensenator Jörg Schönbohm um ein Bleiberecht für Hang und ihre Familie gebeten. „Da uns Hang eine sehr gute Freundin war und ist, bitten wir Sie, sehr geehrter Herr Innensenator, ihr... ein Aufenthaltsrecht in Deutschland auszusprechen, damit wir auch in Zukunft mit unserer Freundin gemeinsam die Schulbank drücken und die Freizeit verbringen können.“ Den haben die Klassensprecher unterschrieben. In der Klasse gab es viele, die Hang helfen wollten, aber es gab auch andere.

Würde Hangs Familie in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern wohnen, hätten sie schon ein Bleiberecht. Denn dort werden Bagatellstraftäter amnestiert. Mit einer Ausweisung in der Tasche nützt ein Umzug allerdings auch nicht mehr. Und schließlich könnte Hang dann nicht mehr mit Jenny und Anja im Carréecafé sitzen.

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