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Kneipe abgefackelt

■ Brandsatz geworfen / Racheakt aus Skin- oder Hooligan-Szene oder von links?

Sonntag nacht: Der Wirt der Kneipe „San Francisco“ am Herdentorsteinweg spült gerade die letzten Gläser, als er aus dem Augenwinkel eine kleinere Gruppe bemerkt, die sich vor dem Fenster der Gastwirtschaft aufhält, Momente später wird die Tür aufgerissen, ein Mann kommt herein, einen brennenden Gegenstand in der Hand. Der Mann wirft, Sekunden später steht die Kneipe in Flammen. Der Wirt will ins Freie laufen, dabei fängt sein Pullover Feuer. Der Mann schafft es gerade noch, sich das Kleidungsstück vom Leib zu reißen. Er kommt mit leichten Verbrennungen davon. Die Kneipe jedoch, die er erst vor wenigen Wochen übernommen hat, geht in Flammen auf. Totalschaden, geschätzte 100.000 Mark. Mit Glück und Geschick kann die eilends herbeigerufene Feuerwehr verhindern, daß das Feuer auf die darüberliegenden Stockwerke und die Nachbargebäude übergreift, eine Frau wird vorsorglich aus dem Haus evakuiert – so kann das Schlimmste abgewendet werden.

Der Tag danach war der Tag der Spekulationen und der Tag der schnellen Verdächtigungen. Der Wirt des „San Francisco“ kann sich jedenfalls erinnern, daß der Täter eine schwarz-weiß gescheckte Tarnjacke trug. Und genau dieser Umstand ist es, der die Polizei auf eine ganz bestimmte Fährte gelockt hat. Das „San Francisco“ heißt nämlich erst so, seitdem der neue Pächter vor einigen Monaten die Kneipe übernommen hat. „Zum Herdentor“, hieß sie zuvor, und diese Kneipe hatte in einer bestimmmten Szene eine traurige Berühmtheit. Über Jahre traf sich dort, Mitten im Bahnhofsviertel, die Fußball-Hooligan- und Skin-Szene. Kein Wunder also, daß vorerst die Polit-Kripo mit dem Fall befaßt ist.

Version Nummer eins: Ein Racheakt aus der eher rechten und gewaltbereiten Szene. Der neue Pächter hatte sich nämlich mit dem jugendlichen Stammpublikum angelegt. Er wollte diese Szene nicht mehr in seiner Kneipe haben, aus Furcht, die Szene würde andere Kundschaft vertreiben. Es sei mehrfach zum Streit zwischen dem Wirt unsdseinen Gästen gekommen. Und die – so die These – könnten sich nun rabiat zurückgemeldet haben. Motto: „Wenn Du uns nicht mehr haben willst, dann wirst Du schon sehen, was Du davon hast.“

Dabei wundern sich allerdings KennerInnen sowohl der Hooligan- als auch der Skin-Szene sehr. Seit Monaten sei die Kneipe nicht mehr Treffpunkt gewesen, hieß es gestern unisono. Sicherlich habe es Streß mit dem neuen Wirt gegeben. Aber ein Racheakt sei für die einen wie die anderen eher untypisch. „Die wechseln dann eher die Kneipe, und das haben sie auch diesmal getan“, erzählte gestern ein Fanbetreuer über die Hooligan-Szene. „Und wenn es länger anhaltenden Unmut über den Wirt gegeben hätte, dann hätten wir davon gehört. Für die Hools ist das Herdentor schon lange kein Thema mehr.“ Ohnehin habe sich die Hooligan-Szene in den letzten drei, vier Jahren eher beruhigt.

Ganz ähnlich fallen die Nachfragen in der Skin-Szene aus. Auch die hätten sich schon längst aus ihrer ehemaligen Stammkneipe verabschiedet, hieß es gestern. Sicherlich könne man nicht ausschließen, daß sich ein kleiner Trupp spontan zu einer solchen Gewaltaktion entschließen könne, aber wahrscheinlich sei das eher nicht. Bleibt Spekulation Nummer zwei, die gestern die Runde machte: Ein Racheakt der linken an der rechten Jugendszene. Schließlich hatte am vergangenen Montag im Zusammenhang mit dem TorfSturm-Film im Kino 46 ein mit Eisenstangen bewaffneter Trupp Skins eine Gruppe von Autonomen auf offener Straße angegriffen. Und möglicherweise hat sich bei vielen eher linken noch nicht herumgesprochen, daß der vermeindtiche rechte Treffpunkt kein rechter Treffpunkt mehr ist. „Geil“, rief gestern ein Jugendlicher, als er an der verkokelten Kneipe vorbeilief. „Die Fascho-Bude ist abgefackelt.“ J.G.

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