: Die Fun-Verbrecher
■ In der Neuauflage von "Die Halbstarken" ist die Gang um den Nuschler Til Schweiger nur Staffage (20.00 Uhr, Sat.1)
Die Mehrheit der Jugendlichen hat mit der Erscheinung der Halbstarken nichts zu tun. Die Minderheit aber fällt auf, und deshalb spricht man von ihr.“ Ein immer noch taufrischer Satz, der aber aus dem mittlerweile vierzig Jahre alten Spielfilm „Die Halbstarken“ von Regisseur Georg Tressler stammt. Der Film selbst, in der Hauptrolle Horst Buchholz, verstand sich als „Warnung für alle jungen Menschen, die in Gefahr sind, auf Abwege zu geraten“.
Im Privatfernsehen unserer Tage sieht man das Problem natürlich wesentlich lockerer. „Die Halbstarken“ sind ein „German Classic“ geworden und als solches im Auftrag von Sat.1 neu verfilmt worden. Kein moralischer Zeigefinger wedelt in der Version des Schweizer Regisseurs Urs Egger (Jahrgang 1953): Der Oberhalbstarke Freddy heißt heute Til Schweiger und prahlt mit seiner kriminellen Vergangenheit. „Wir waren die Größten“, nuschelt er gleich zu Anfang, und in diesem Stil geht es auch weiter. Während im Original Horst Buchholz und Konsorten ab und an Skrupel zeigten und sich ob ihrer Untaten vor den Eltern schämten, sind „die Halbstarken“ 1996 ein Haufen vergnügungssüchtiger Fun-Verbrecher.
Die Geschichte ist dieselbe geblieben: Eine Bande Teenies überfällt ein Postauto. Dummerweise befinden sich in der erbeuteten Stahlkiste nicht die erhofften Geldscheine, sondern nur ein Stapel Postanweisungsformulare. Frustriert machen sich Freddy und seine Freundin Sissy (damals Karin Baal, heute Sandra Speichert) nun auf, ersatzweise in der Wohnung des Eisdielenbesitzers Garazzo den großen Coup zu landen. Dort findet das Abenteuer sein Ende: Es fallen Schüsse, die Polizei kommt. Im Drehbuch der Neufassung (geschrieben vom Produzenten Bernd Eichinger) ist es Freddy, der versehentlich seine Sissy erschießt – in der Vorlage wurde er von ihr angeschossen. Ein verwundeter oder gar toter Freddy würde jedoch schlecht zu der von Egger gepriesenen großen Innovation des Remakes passen: „Der Film wird radikal aus Freddys Perspektive erzählt.“ Im Klartext: Til Schweigers undeutliche Aussprache verfolgt den Zuschauer nicht nur in seinen Freddy-Dialogen, sondern auch aus dem Off. Da bleibt uns nur noch die Konzentration auf die Bilder.
Egger wollte „die Fünfziger nicht zu plakativ aufzeigen, das heißt, nicht nur schicke Cadillacs auffahren lassen“. Irgendwie ist der Ausstattungswahn aber doch mit ihm durchgegangen: Das Remake sieht jedenfalls viel mehr nach der Wirtschaftswunderzeit aus als das Original. Jede Lampe, jede Brille, jedes Glas scheint einen Aufkleber zu tragen mit der Aufschrift: „Hallo! Ich komme aus den Fünfzigern!“
Hätten sich Produzent und Regisseur nur mehr Gedanken über einen eigenen Zugang zum Thema Jugendkriminalität in der Nachkriegszeit gemacht. Die original Halbstarken waren arg moralinsauer, Eichinger und Egger taten also gut daran, dieses Sendungsbewußtsein nicht nachzuahmen. Leider haben sie es jedoch versäumt, der Neuauflage der angestaubten Geschichte einen eigenen Sinn zu geben. Die Moralpredigt ist weg. Was bleibt, ist eine Nacherzählung: schneller, witziger, mit mehr Gewalt und Sex. Trotzdem nur eine alte, aufgewärmte Idee. Stefan Kuzmany
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen