: "Ich hoffe, daß jemand diesen Brief nach meiner Festnahme oder meinem Tod veröffentlicht", schreibt Faradsch Sarkuhi am 3. Januar. Zuvor war er 47 Tage im Kerker des iranischen Geheimdienstes. Seit Montag ist Sarkuhi wieder verschwunden.
„Ich hoffe, daß jemand diesen Brief nach meiner Festnahme oder meinem Tod veröffentlicht“, schreibt Faradsch Sarkuhi am 3. Januar. Zuvor war er 47 Tage im Kerker des iranischen Geheimdienstes. Seit Montag ist Sarkuhi wieder verschwunden.
„Ich wurde zu ihrem Spielzeug“
Heute ist der 14 Dey Mah (3. Januar 1997). Ich, Faradsch Sarkuhi, schreibe diese Notizen eilig und überstürzt, in der Hoffnung, daß eines Tages ein oder mehrere Menschen dies lesen
und die Weltöffentlichkeit, die iranische Öffentlichkeit und insbesondere Farideh, Aresch und Bahar, das heißt die Menschen, die ich leidenschaftlich liebe, erfahren, in welche schreckliche Geschichte ich geraten bin. Vielleicht wird dieses Schreiben niemanden erreichen, aber ich hoffe, daß jemand es liest und nach meiner Festnahme oder meinem Tod veröffentlicht, als Dokument der schmerzvollen Leidensgeschichte eines unglücklichen Opfers, wie ich es bin.
Ich weiß nicht, wie lange mir noch Zeit bleibt. Jede Sekunde warte ich auf meine erneute Festnahme oder einen Vorfall, bei dem ich ermordet werde und mein Tod als Selbstmord dargestellt wird. Folter, Gefängnis und Tod erwarten mich. Ich versuche, in diesen Notizen nur das zu schreiben, was geschehen ist, obwohl ich das Verlangen habe, genauer zu beschreiben, wie es mir geht und was ich empfinde. Aber wer dieses Schriftstück gelesen hat, kann sich meinen Zustand einigermaßen vorstellen.
Ich bin einem Plan zum Opfer gefallen, den das iranische Informationsministerium ausgeheckt und durchgeführt hat. Es arbeitet weiter an seiner Umsetzung. Die nächsten Schritte kenne ich nicht; ich schreibe nur über das, was bis jetzt geschehen ist.
Ich bin am 13. Aban (3. November 1996, A.d.Ü.) im Flughafen verhaftet worden und bis 30. Azar (20. Dezember) in einem der geheimen Gefängnisse des Informationsministeriums festgehalten worden. Aber wie ich nach und nach begriff, ist der komplizierte Plan schon vor längerer Zeit ausgeklügelt und dann Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt worden. Bevor ich am 13. Aban (3. November) verhaftet wurde, ist einiges geschehen: die Fahrt nach Armenien (siehe untenstehenden Text), der Sturm auf das Haus von Mansur Kuschan (Schriftsteller) an dem Abend, als die Schriftsteller, unter anderen auch ich, den vorläufigen Entwurf für die Satzung des Schriftstellerverbands unterschrieben haben; der Besuch bei dem Deutschen Gust; meine zweitägige Festnahme im Schahriwar Mah 1375 (der iranische Monat Schariwar Mah 1375 entspricht dem 22. August bis 21. September 1996), das heißt zwei Tage nach dem Sturm auf Kuschans Haus. Die Vorfälle waren, wie ich später begriff, die ersten Stufen des Plans. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit meiner Festnahme am 13. Aban – mit der Tatsache, daß ich 47 Tage lang festgehalten wurde.
Gust, der Kulturreferent der deutschen Botschaft, hatte eine Anzahl iranischer Schriftsteller zu sich eingeladen. Die offizielle Einladung kam von der deutschen Botschaft. Sechs Personen – Golschiri, Sepanloo, Behbahani, Mehrangiz Kar, Roschanak Dariusch (alles Schriftsteller. Anm. d. Red) und ich – sind zu diesem Empfang gegangen. Ich kannte Gust nicht. Ich habe ihn vor diesem Abend noch nie gesehen. Ich habe ihn auch danach nie mehr gesehen. Das einzige Mal, daß ich ihn sah, war an diesem Abend, als wir ihn in seinem Haus besuchten. Früher gab Manuel, der Kulturreferent der französischen Botschaft, Empfänge und lud eine Anzahl von Schriftstellern zu sich ein. Ein- bis zweimal war ich bei diesen Empfängen dabei. Es wurde dort nie über etwas Politisches geredet. Ich habe angenommen, daß die iranischen Verantwortlichen nichts gegen diese Treffen haben; schließlich konnten sie damit irgendwie Demokratie demonstrieren ... Das Gespräch, das wir sechs an diesem Abend führten, drehte sich um die Notwendigkeit der Übersetzung der zeitgenössischen iranischen Literatur ins Deutsche. Am Abend wurde das Haus von Gust gestürmt, und wir sind beim Abendessen gefilmt worden. Wir sind verhaftet und in eins der Gefängnisse des Informationsministeriums gebracht worden; dort habe ich zum ersten Mal Herrn Haschemi, einen Angestellten des Informationsministeriums, gesehen (Haschemi ist Kontaktmann des Geheimdienstes. Anm d. Red.). Er sprach mit mir, Golschiri und Sepanloo und sagte uns, die Kulturabteilung des Informationsministeriums sei gekommen, um uns zu retten, als sie von dem Vorfall erfahren hätte. Die Abteilung „Gegenspionage“ habe das Haus von Gust gestürmt; aber weil das Informationsministerium wüßte, daß wir keine Spione sind, hätten sie eingegriffen, um uns zu retten...
Es war eine Falle. Einige Zeit später, als der „Mykonos“Prozeß brisant wurde, ist mir klargeworden, daß sie mich und einige andere benutzen wollten, um ein Gegenstück zum „Mykonos“-Prozeß zu schaffen.
Ich schrieb dann einen Brief an Farideh, steckte ihn zwischen die Blätter einer Zeitschrift und schickte ihn weg... Der nächste Schritt war, daß sie mich zwei Tage nach dem Sturm auf das Haus von Kuschan verhaftet haben. An einem Dienstag, um ca. fünf Uhr nachmittags, als ich vom Büro der Zeitschrift nach Hause ging, haben sie mich festgenommen und mit verbundenen Augen in ein Gefängnis gefahren. Sie haben mich geschlagen. Am späten Abend kam ein Beamter, Haschemi hat ihn als einen hohen Verantwortlichen bezeichnet, und sagte mir: Wir haben Sie ausgesucht, um den anderen Angst einzujagen; die Intellektuellen sollen sich nur noch um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern (im Iranischen ein doppeldeutiges Wort, es kann auch heißen: das Feld räumen, abhauen, A.d.Ü.). Ich habe ihm geglaubt. Aber später habe ich begriffen, daß diese Festnahme zu den Vorbereitungen eines raffinierten Plans gehörte. Sie haben mich gezwungen, eine Anzahl von Schriftstellern anzurufen und mich für einen Mittwoch auf der Straße mit ihnen zu verabreden. Ich habe die Telefonate gemacht; ihr Ziel war es, mich in Verruf zu bringen. An diesem Mittwoch haben sie meine Autopapiere aus meiner Wohnung geholt. Während der jüngsten Festnahme habe ich begriffen, daß sie die Papiere an demselben Tag auf einen anderen Namen überschrieben haben, um vorzutäuschen, ich hätte flüchten wollen und deshalb mein Auto verkauft. Die meisten Kollegen sind am Mittwoch nachmittag nicht zu dem Treffen gekommen. Nur Kaschigar ist gekommen. Mansur Kuschan und Mohammad Ali (Die Identität von Kaschigar und Mohammad Ali konnten wir nicht klären. Anm. d. Red.) wurden dann auch verhaftet. Uns vieren hat der „höhere Beamte“ eine Rede gehalten, er sagte uns, die Politik habe sich geändert. Aber das war alles nur eine Inszenierung mit dem Ziel, einen komplizierteren Plan umzusetzen. Die anderen sind dann zwar freigelassen worden, aber mich haben sie bis zum Donnerstag zwei Uhr festgehalten. Am Donnerstag bin ich verhört worden. Es ging bei zwei oder drei Fragen um die Fahrt nach Armenien, bei zwei oder drei anderen um meinen Standpunkt in der „Djame Maschwerati“ (beratende Versammlung – eine Gruppe von Schriftstellern, die den Schriftstellerverband ins Leben rufen wollten. A.d.Ü.). Um zwei Uhr nachmittags haben sie mich freigelassen; bei der Freilassung hat Herr Haschemi zu mir gesagt: „Sie haben Ausreiseverbot, Sie dürfen nicht ins Ausland reisen.“ Eine Woche nach der Freilassung aus dem Gefängnis rief Farideh mich an und sagte am Telefon: „Es gibt ein Gerücht, du hättest ein Interview gegeben. Ich habe das nicht so ernst genommen, ich dachte, sie hätten dieses Gerücht verbreitet, um mich in Verruf zu bringen...“
Anfang Aban Mah (ein persischer Monat, entspricht dem 22. Okt. bis 20. Nov., A.d.Ü.) rief Herr Haschemi mich an und sagte am Telefon: „Ihr Ausreiseverbot ist aufgehoben worden, Sie können jetzt ausreisen.“ Ich hatte Sehnsucht nach meiner Frau und meinen Kindern und brannte darauf, sie wiederzusehen. Ich dachte, vielleicht ist das Regime zu dem Ergebnis gekommen, daß mein Ausreiseverbot für sie keinen Nutzen hat. Ich habe nicht an Herrn Haschemis Wort gezweifelt. Hier muß ich auf zwei Punkte hinweisen, um zu erklären, wie ich und andere in meiner Situation zu einer ganz falschen und verkehrten Einschätzung unserer Lage gekommen sind. Eine Einschätzung, die uns zu Spielzeugen machte. Erstens hatte ich die Vorstellung, daß es in dem System (gemeint ist das Regime, A.d.Ü.) zwei Flügel gibt und daß das Informationsministerium einem Flügel angehört, der nicht daran interessiert ist, hart gegen die Intellektuellen vorzugehen. Zweitens: Ich habe nicht politisch und nicht im Untergrund gearbeitet; was ich tat, war kulturelle Arbeit, und dies öffentlich. Ich war Chefredakteur von Adineh. Ich habe Essays geschrieben, war in der „Djame Maschwerati“. Dies alles war öffentlich. Ich war sicher, daß ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen. Diese Sicherheit, daß man mir nichts vorwerfen konnte, führte dazu, daß ich optimistisch war... Ich kaufte ein Flugticket. Ich beabsichtigte, am 13. Aban (3. Nov. 1996) nach Deutschland zu reisen und zwei bis drei Wochen mit Farideh und den Kindern zusammen zu verbringen. Ich kaufte Geschenke und habe mich auf die Reise vorbereitet.
Am Samstag, dem 12. Aban (2. Nov.) hat Herr Haschemi um 10 oder 11 Uhr nachts angerufen und gesagt, ich solle mich vor der Abreise mit ihm treffen. Der Flug ging um 8 Uhr. Er sagte, ich solle um 4 Uhr vor der Wechselstube des Mehrabad-Flughafens, die außerhalb der Halle liegt, auf ihn warten. Der Anruf beunruhigte und verwirrte mich. Ich dachte, sie würden mich im schlimmsten Fall daran hindern, auszureisen; entweder würden sie mich am Flughafen verhaften, oder sie wollten mich zu einer schriftlichen Erklärung zwingen, damit ich im Ausland nichts gegen sie sage. Ich hatte keine Wahl...
Ich bin dann in Begleitung von Parwin Ardalan (mit Sarkuhi befreundete Mitarbeiterin der Zeitschrift „Adineh“) zum Flughafen gefahren. Parwin ist in die Abfertigungshalle vorausgegangen, um mir, wenn ich für Übergepäck bezahlen müßte, noch Geld geben zu können. Ich wartete vor dem Wechselschalter. Einer der Beamten kam und sagte zu mir: Kommen Sie mit! Sie haben mich in ein Zimmer in der Flughafenhalle geführt. Herr Haschemi gab mir das Ausreiseformular, das ich ausfüllen sollte. Ich tat es. Dann nahm er meinen Paß und die Devisennachweise, und eine Viertelstunde später nahm er mich fest.
Sie haben mich mit verbundenen Augen in ein Auto gesetzt und von dort zu einem der geheimen Gefängnisse des Informationsministeriums gebracht.
Dort bin ich bis zuletzt geblieben. Da begann der Hauptteil ihres Plans. Sie haben mir im Gefängnis später Unterlagen gezeigt, und ich sah, daß sie die Bildseite meiner Geburtsurkunde ausgetauscht und das Foto einer anderen Person darauf angebracht hatten. Sie müssen im Flughafen Mehrabad eine „Ersatz“-Person gehabt haben, die meine Devisen erhalten, im Duty-free-Shop des Flughafens damit eingekauft hat und nach Hamburg geflogen ist, denn in meinem Reisepaß existierte ein Einreisestempel des Flughafens Hamburg. Später erfuhr ich, daß sie auch jemanden zu Parwin geschickt haben, der ihr sagte, mein Flug sei verschoben worden und ich sei später mit der Lufthansa nach Deutschland geflogen, damit sie in Deutschland anruft und sagt, man solle mich nicht am Flughafen abholen...
Am 13. Aban (3. Nov.) haben sie mich ins Gefängnis gebracht. Verhöre und Quälereien fingen an. Vom ersten oder zweiten Tag an sagten sie mir: „Du bist ,vermißt‘ gemeldet. Es ist offiziell bekanntgegeben worden, daß du das Land verlassen hast, und im Hamburger Flughafen ist deine Ankunft registriert worden. Du bleibst einige Zeit hier in Einzelhaft, und wenn die Verhöre, Interviews und Nachforschungen beendet sind, werden wir dich umbringen und deine Leiche heimlich unter die Erde bringen oder irgendwo in Deutschland aussetzen.“ Am dritten oder vierten Tag haben sie mir ein Telefongespräch vom Tonband vorgespielt. Auf dem Band sagte mein Bruder Ismail zu meiner Frau Farideh, daß die Informationsstelle des Flughafens meine Ausreise aus dem Iran bekanntgegeben hat. Sie haben mir das Band vorgespielt, damit ich ihnen glaubte, daß sie die Wahrheit sagen. Dann setzten furchtbare Quälereien und Druck auf mich ein. Nie wird jemand meine moralische und psychische Verfassung begreifen können. Ich war zum Tode verurteilt – ohne jegliche Hoffnung. Ich war kein offizieller Gefangener, ich galt als verschollen. Meine Lage war anders als die jedes anderen Gefangenen, sogar eines zum Tode Verurteilten. Denn ein legal verurteilter Gefangener kann auf Gnade hoffen, er hat die Möglichkeit, Briefe zu schreiben, sein letztes Wort oder ein Testament zu verfassen, er muß sich nicht fürchten, den Rest seines Lebens in einer Isolierzelle zu verbringen. Mein Tod aber war endgültig und unwiderruflich beschlossen. Meine Ausreise war schon bekanntgegeben worden. Ich habe den Schmerz und die Qual eines lebendig Begrabenen empfunden.
Unter dem körperlichen und psychischen Druck brach ich zusammen. Ich war erledigt, ruiniert, vernichtet.
Sie begannen mit dem Verhör. Sie zwangen mich, auf die Verhörblätter das Datum des Monats Schahriwar (entspricht dem 22. Aug. bis 20. Sept. A.d.Ü.) – in dem ich für zwei Tage inhaftiert war – zu schreiben. Es war ein dickes Buch, so viel haben sie mich verhört, alles rückdatiert auf den Schahriwar. Die Verhöre fingen am 13. Aban (3. Nov.) an und dauerten bis zum letzten Tag. Ein Teil der Verhöre drehte sich um kulturelle Fragen. Ich schrieb auf, was ich darüber denke. Ein Teil drehte sich um meine Lebensgeschichte. Einiges betraf die „Djame Maschwerati“ und die 134 – den Text der 134 (gemeint ist ein Protestbrief gegen die Zensur, der 1994 von 134 Schriftstellern unterschrieben wurde. A.d.Ü.)...
Ein weiterer Teil der Verhöre drehte sich um meine privaten Beziehungen, um meine Gefühle, mein Sexualleben, unter anderem auch um meine Beziehung zu Parwin Ardalan. In diesem Punkt haben sie mich gezwungen, das zu schreiben, was sie von mir wollten. Es war ein schmerzhafter Prozeß, bis sie mich so weit hatten, das aufzuschreiben, was sie mir sagten. Ihre Hauptbeschäftigung jedoch war nicht diese Fragerei, sondern „Interviews“. Erst nach dem Verhör habe ich begriffen, welchem Plan sie folgten, und das Ziel wurde mir klar. Zuerst quälten sie mich, bis ich zusammenbrach, dann haben sie mich unter massivem Druck gezwungen, von ihnen verfaßte Texte auswendig zu lernen, die ich dann in einem sogenannten Fernsehinterview aufsagen mußte, das nicht mit dem wahren Datum, sondern auf den Schahriwar Mah zurückdatiert wurde. Sie haben dieses unwahre, erzwungene und verfälschte Interview mit Hilfe einer Videokamera in diesem Gefängnis aufgenommen.
Das Interview bestand aus verschiedenen Teilen. Ein Teil ging um Djame Maschwerati; ein Teil um mein Privat- und Sexualleben und um meine politisch-kulturelle Arbeit; in anderen Teilen ging es um andere Schriftsteller. Auch diese Texten haben sie selber verfaßt. Der größte Teil entspricht nicht der Wahrheit und ist erlogen. Aber der Hauptteil des Interviews ging um Spionage. Sie haben mich dazu gezwungen, wahrheitswidrig zu sagen, ich hätte mit Manuel, dem Kulturreferenten der französischen Botschaft, und später mit Gust, dem Kulturreferenten der deutschen Botschaft, nachrichtendienstliche Beziehungen gehabt und dafür Geld von ihnen bekommen. Die deutsche Regierung gebe meiner Frau in Deutschland Geld, Manuel und Gust gäben mir und Adineh und der Djame Maschwerati Denkleitlinien vor, sie hätten auch Beiträge in Adineh vorbereitet... Sie haben Einzelheiten aus dem Leben Manuels und Gusts aufgeschrieben und zwangen mich, sie auswendig zu lernen und vor der Kamera aufzusagen. Zum Beispiel: Gust ist reich, er hat ein großes Haus und liebt Antiquitäten; zu wem er gute Beziehungen hat und auf wen er schlecht zu sprechen ist, und solches Gerede.
Sie schlugen mich. Bis das Interview natürlich wirkte, wiederholten und wiederholten sie die Aufnahmen, und jedes Mal sagten sie mir, ich solle um Gnade und Vergebung bitten. Dann zwangen sie mich, die Lüge auszusprechen, daß ich mit mehreren Frauen sexuelle Beziehungen gehabt hätte. Manche dieser Frauen habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen. Dann zwangen sie mich, über die sexuellen Beziehungen von Schriftstellern zu den Ehefrauen ihrer Kollegen zu sprechen. Die Hauptsache aber war die Spionage; wichtig dabei ist, daß sie mich dauernd zwangen, das Schahriwar- Datum zu erwähnen. Sie haben mehrere Videobänder aufgenommen, und auf allen haben sie ständig das Datum Schahriwar wiederholt, das heißt die zwei Tage, in denen ich verhaftet gewesen war. Die Wahrheit ist: diese Interviews sind Lügen. Alle wissen, daß ich kein Spion gewesen bin. Die Interviews sind in den Monaten Aban (22. Okt. bis 20. Nov.) und Azar (21. Nov. bis 20. Dez.) aufgenommen worden, die ich im Gefängnis verbrachte, nicht im Schahriwar. Aber sie wollten ihren Plan verwirklichen, der die wichtigen Ziele verfolgte, die ich noch erwähnen werde.
Es ist möglich, daß jemand fragt, warum ich mich so demütigen und erniedrigen ließ, warum ich bereit war, alles zu tun, was sie mir sagten.
Ich will mich nicht rechtfertigen oder von Schuld freisprechen, aber der körperliche und seelische Druck hat mich ruiniert und vernichtet. Ich wollte es schneller zu Ende bringen, erledigen, was zu erledigen war, damit sie mich töteten. Menschen, die im Gefängnis zu Interviews gezwungen werden, in denen sie lügen müssen, hoffen meist auf Gnade und Freilassung. Aber das war nicht mein Motiv. In meiner Situation, zum Tod verurteilt und bei lebendigem Leib begraben, existierte keine Hoffnung auf Gnade und Freiheit. Die Interviews waren ein Teil ihres Plans, der mit meiner Ermordung, meinem Tod enden sollte. Mit jedem Interview kam ich dem Tod einen Schritt näher. Der Hauptgrund war der körperliche und seelische Druck: Ich war vernichtet und wünschte mir, daß sie mit ihrer Arbeit schneller fertig werden, damit sie mich schneller töteten und ich von den Quälereien, dem Leid und dem Irrsinn erlöst werde. Ich habe öfter auf dem Verhörpapier Briefe geschrieben, in denen ich sie angefleht habe, mich zu töten oder mir etwas zur Verfügung zu stellen, womit ich mich selbst umbringen kann...
Erst nach den Interviews begriff ich einen Großteil ihres Plans; ich konnte, während das Verhör weitergeführt wurde, trotz meiner Einsamkeit, trotz der seelischen und körperlichen Quälereien, auf der Schwelle zu Verwirrung und Wahnsinn, einige Augenblicke lang nachdenken, und in diesen Augenblicken habe ich, aufgrund dessen, was passiert war, und der Dinge, zu denen sie mich zwangen, ihre Ziele durchschaut...
Ihr Plan (...) hat mehrere Ziele. Das erste ist, Deutschland in Sachen „Mykonos“ entgegenzutreten. Sie wollen sich Deutschland gegenüber Vorteile verschaffen. Aber das Problem war, daß sie das nicht konnten mit Hilfe der Beschuldigung, ich sei ein Spion, auch nicht mit Hilfe des falschen Geständnisses. Mein Interview war nur für das Inland bestimmt; die Deutschen würden weder meinetwegen noch wegen irgendeines anderen Iraners irgend jemandem den geringsten Vorteil gewähren. Ziel des Informationsministeriums (...) war und ist es, die Deutschen irgendwie in dieses Spiel hineinzuziehen, ihnen eine Falle zu stellen und sie in Schwierigkeiten zu bringen. Das ist ihr erstes Ziel. Das zweite ist die Wirkung im Inland: So wollen sie eine Kampagne gegen den „Mykonos“-Prozeß in Gang setzen. Das dritte Ziel ist die Diskreditierung und Schmähung der Intellektuellen, im allgemeinen und im besonderen die Vernichtung und Diskreditierung meiner Person – die körperliche sowie intellektuelle und moralische Vernichtung meiner Person. Ein weiteres Ziel war und ist schließlich die Einschüchterung der Intellektuellen generell (...) Mit den erzwungenen Interviews sind das zweite, dritte und vierte Ziel erreicht, aber das erste Ziel – die Verstrickung Deutschlands und daß sie sich gegenüber den Deutschen Vorteile verschaffen wollen – machte eine komplexeren Plan nötig...
Die erste Etappe sah so aus: Faradsch Sarkuhi will am 13. Aban (3. Nov.) nach Deutschland reisen. Sarkuhi wird am Flughafen festgenommen und verhaftet. Dann wird ein anderer, mit Hilfe des ausgewechselten Fotos im Reisepaß, an seiner Stelle nach Hamburg reisen. Der Paß enthält den Ausreisestempel von Teheran und den Einreisestempel von Hamburg. Sarkuhi kommt nicht an, aber sein „Ersatz“ (der unechte Sarkuhi, A.d.Ü.) geht nach Deutschland. Farideh und andere protestieren. Eine Welle öffentlichen Aufsehens kommt in Gang. Die iranische Regierung schweigt und verkündet dann, daß Sarkuhi vom Mehrabad-Flughafen abgeflogen ist und sich in Deutschland befindet. Schließlich fragt Farideh oder jemand anders bei den Verantwortlichen im Hamburger Flughafen an. Sie antworten, Sarkuhi ist in Deutschland angekommen. (Der unechte Sarkuhi ist tatsächlich nach Deutschland geflogen, und so hat der Reisepaß den Einreisestempel). Wenn die Deutschen bekanntgeben, daß Sarkuhi tatsächlich angekommen ist, strahlt die iranische Regierung die Interviews aus.
Der echte Sarkuhi befindet sich im Gefängnis. Die Interviews wurden gemacht, aber mit dem Datum Schahriwar Mah versehen. Iran verkündet, daß Sarkuhi im Schahriwar Mah verhaftet worden war und entweder freiwillig oder aufgrund der Indizien (dies weiß ich nicht) die Spionage gestanden hat. Warum er denn dann nach dem Geständnis freigelassen wurde? Weil er zugesagt habe, mit dem Informationsministerium zu kooperieren. Aber nun ist er nach Deutschland gereist, und die deutsche Regierung hat ihn versteckt. Die iranische Regierung fordert die deutsche Regierung auf, den flüchtigen Sträfling, das heißt den geflüchteten Spion an den Iran auszuliefern. (...) Der echte Sarkuhi wird nach dem erzwungenen und verlogenen Interview im Gefängnis umgebracht. Die iranische Regierung fordert aufgrund der Beweise und Indizien seine Auslieferung. Nun sind die Deutschen dran, sie sind in die Sache verstrickt, weil sie selber Sarkuhis Ankunft bekanntgegeben haben.
Wieso haben sie gerade mich für den Plan ausgesucht? Erstens, weil sie etwas gegen mich hatten: Sie kannten mich als aktives und intelligentes Mitglied der Djame Maschwerati; ich habe eine politische Vergangenheit; ich lebte allein in Teheran, und meine Frau und die Kinder waren in Deutschland; ich war bei dem Gust-Empfang dabei...
Ich war im Gefängnis. Bei lebendigem Leib begraben, mit dem Tod vor Augen.
Ich war acht Jahre lang im Schah-Gefängnis. Ich bin in der Schah-Zeit mehrmals festgenommen worden und im Gefängnis gewesen. Aber die ganzen acht Jahre zusammen waren nicht so quälend wie nur fünf Minuten von diesen 47 Tagen...
Bei der Durchführung des Plans entstand ein Problem, weil die deutsche Regierung oder die Verantwortlichen im Flughafen Hamburg meine Einreise nicht bestätigt haben. Später, das heißt in den letzten Tagen, fand ich heraus, daß sie die Namen wahrscheinlich gar nicht registrierten. Ich weiß es nicht, den genauen Grund kenne ich nicht. Jedenfalls begann die zweite Stufe ihres Planes. Am 13. oder 14. Azar – ich kann mich nicht genau erinnern, weil ich das Zeitgefühl verloren hatte –, etwa einen Monat nach meiner Festnahme jedenfalls, haben sie mich gezwungen, einen Brief an Parwin zu schreiben. Ich mußte ihr schreiben, daß ich wegen familiärer Probleme heimlich in Deutschland geblieben sei. Dem Brief haben sie eine Kopie der Paßseite beigelegt, auf der der Einreisestempel war. Sie haben mich gezwungen, Parwin zu schreiben, sie solle meinem Bruder Ismail diesen Stempel zeigen. Sie haben den Brief auf den 15. Aban (5. Nov.), das heißt drei Tage nach meiner Festnahme, datiert. Den Brief haben sie, mit gefälschten Briefmarken und einem Poststempel aus Köln versehen, Parwin zukommen lassen. Später, nach dem 30. Azar (20. Dez.), das heißt, nachdem ich „freigelassen“ worden war, habe ich erfahren, daß sie Parwin unter Druck gesetzt haben, den Inhalt des Briefes allen zu erzählen. In Adineh erschien ein Artikel, in dem auf diesen Brief hingewiesen wurde. Ihr Hauptziel aber war ja, die Deutschen in die Falle zu locken. Die Deutschen hatten meine Ankunft nicht bekanntgegeben, und die iranische Regierung konnte das mit dem Einreisestempel nicht offiziell an die Öffentlichkeit bringen, weil sie dann mit der Frage konfrontiert worden wäre, woher sie über meine Situation Bescheid wüßte. Daher wollten sie den Stempel mit Hilfe meines gefälschten Briefes öffentlich bekanntmachen, um die Deutschen in Zugzwang zu bringen, den Stempel zu bestätigen... Aber das ist nicht passiert; der Stempel ist nicht ins Gespräch gekommen, weil es meinem Bruder nicht gelang, diese Nachricht in den zuständigen offiziellen Kreisen zu verbreiten...
Aber sie haben nicht darauf verzichtet, ihren Plan auszuführen, und sie sind noch immer dabei, ihn zu Ende zu bringen... Sie sagten mir, sie würden mich für eine gewisse Zeit freilassen, vorausgesetzt, ich tue alles, was sie mir sagen. Ich habe zugestimmt. Alles, sogar der Tod oder eine erneute Verhaftung (...), schien mir besser als meine damalige Situation. Sie haben mir ihren Plan mitgeteilt, daß ich am Mehrabad-Flughafen auftauchen und den Journalisten ein Interview geben sollte, und ich akzeptierte das. Aber ich habe ihnen nicht einmal geglaubt. Sie beschafften die Unterlagen im Zusammenhang mit Turkmenistan, die echt waren. (Angeblich sei Sarkuhi aus Deutschland über Turkmenistan nach Teheran zurückgereist, lautete die offizielle Legende. Anm. d. Red.) Sie sagten mir, was ich bei dem Interview sagen und wie ich antworten sollte. Ich habe im Flughafen Interviews gegeben, die veröffentlicht wurden. Mit BBC und dem französischen Radio habe ich auch gesprochen und dabei gesagt, was sie (das Informationsministerium, A.d.Ü.) mir befohlen hatten. Zum Schein bin ich am 30. Azar (20. Dez.) nach den Interviews zum Flughafen Mehrabad freigelassen worden. Aber ich stehe ständig unter Überwachung. Ich habe allen dasselbe erzählt, was ich auch am Flughafen gesagt habe, und niemand, nicht einmal mein Bruder, ist über die wahre Geschichte informiert. Ich habe sie niemandem erzählt.
Ich kann nun absolut nichts tun. Ich weiß nicht, ob diese Notizen jemanden erreichen werden oder nicht. Ich weiß, daß sie mich wieder verhaften oder umbringen werden, aber ich weiß nicht, was ich tun kann. Ich weiß nicht, was ich mit den Notizen machen werde. Vielleicht zerreiße ich sie. Ich weiß, daß dieses Schriftstück niemanden erreichen wird, doch ich wünsche mir sehr, daß Farideh und die Kinder diese Notizen lesen und wissen, welche Quälereien und Schmerzen ihr Mann und Vater ertragen mußte und daß er niemals ein Spion gewesen ist...
Ich weiß nicht, was ihr nächster Schritt sein wird. Werden sie mich wieder festnehmen, oder bringen sie mich um und stellen meinen Tod als Selbstmord hin; oder nehmen sie mich erneut fest und zwingen mich zu weiteren „Interviews“ oder zu anderen Handlungen; oder tun sie etwas, was ich nicht voraussehen kann?
Letzten Endes aber werden sie mich dort im Gefängnis umbringen und so tun, als hätte ich Suizid begangen... Ich bin niedergeschlagen, zusammengebrochen und absolut hoffnungslos... Jetzt geht ihr Plan seinem Ende zu. Ich werde wegen einer Beschuldigung sterben, die meinem ganzen Lebensinhalt widerspricht. (...)
Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Das Ende ist nah. Ob diese Schrift jemand erreichen wird? Ob jemand die Wirklichkeit und Wahrheit herausfinden und erfahren und bekanntmachen wird, daß mir Unrecht geschehen ist?
Wenn doch jemand dieses Schriftstück in die Hand bekommt, soll er es nach meiner Verhaftung, drei Tage nach meiner Verhaftung oder einen Tag nach meinem Tod meiner Frau geben, damit sie es veröffentlicht. Wenn niemand das Schreiben findet – ich bin ohnehin tot. Eigentlich bin ich am 13. Aban (3. Nov.) gestorben. Ich liebe meine Frau und die Kinder leidenschaftlich und lebte bis zum 13. Aban ehrenhaft.
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