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Schwanger mit dem Risiko

Die pränatale Diagnostik stürzt schwangere Frauen wie ÄrztInnen immer öfter in schwere Konflikte: Test machen? Abtreiben? Oder gar Fetozid?  ■ Von Eva Schindele

Die 31jährige Angela Storz* kann ihren Bauch kaum mehr verstecken. Die Verlagssekretärin ist in der 24. Woche schwanger. Mit ihrer Freude war es in der 18. Woche schlagartig zu Ende, als ihr der Frauenarzt mitteilte, daß der sogenannte „Triple-Test“ ein erhöhtes Risiko für ein Down-Syndrom (früher: Mongoloismus) bei ihrem Kind angezeigt hätte. Angela: „Ich war völlig verstört, weil ich nicht einmal ahnte, daß ein solcher Test durchgeführt wurde.“ Mit diesem Verdacht begann ihre Odyssee: Der Gynäkologe empfahl eine Fruchtwasseruntersuchung, „um den Verdacht abzuklären“. In der 22. Woche die Nachricht, daß zwar kein Down-Syndrom vorliege, aber eine andere Chromosomenveränderung, die auf eine geistige Behinderung hinweisen könnte. Erneute Tests, Beratung im humangenetischen Institut, Erläuterung von statistischen Wahrscheinlichkeiten, vage Prognosen. Angela fühlt sich allein gelassen mit den medizinischen Befunden, die sich in ihrem Kopf immer mehr zu Monstern verdichten. Der Abbruch der Schwangerschaft erscheint ihr der einzige Ausweg aus dem Gefühlschaos.

Um rund 500 Prozent seien die Leistungen der ärztlichen Schwangerenvorsorge in den letzten 15 Jahren angestiegen, so der Sozialmediziner Jürgen Collatz von der Medizinischen Hochschule Hannover. Parallel dazu bekommen inzwischen 60 bis 70 Prozent aller Schwangeren den Stempel Risikoschwangerschaft in ihren Mutterpaß gedrückt. Vor allem die Pränatale Diagnostik wurde seit 1983 immer mehr ausgebaut – in vielen Fällen ohne daß eine vorgeburtliche Therapie zur Verfügung steht. Schwangere hangeln sich heute von Test zu Test. Viele vermissen dabei eine einfühlsame Begleitung, die die eigenen körperlichen und seelischen Kompetenzen stärkt. Immer mehr suchen deshalb bereits in der Schwangerschaft den Kontakt zu einer Hebamme und lassen die Vorsorgeuntersuchungen von ihr durchführen.

Beispiel „Triple-Test“: Dieser Bluttest soll die individuelle Wahrscheinlichkeit errechnen, ein behindertes Kind zu gebären. Er wird inzwischen häufig routinemäßig durchgeführt – oft ohne daß die Frauen über den Sinn aufgeklärt wurden. Genauso wie Angela.

Beispiel Ultraschall: Laut Kassenärztlicher Vereinigung Hessen können Vorsorgeuntersuchungen nur noch abgerechnet werden, wenn Ultraschall durchgeführt wurde. In den Mutterschaftsrichtlinien, die vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen erarbeitet wurden und die Schwangerenvorsorge regeln, werden generell drei Sonographien vorgeschrieben. Dabei zeigen große Studien in den USA und Australien, daß dieses Screening aller Schwangeren keinen therapeutischen Nutzen bringt. Denn die Möglichkeiten vorgeburtlicher Therapie sind äußerst begrenzt. Schwangere Frauen, bei deren Fötus in der 20. Woche Anomalien festgestellt wurden, werden in tiefe Konflikte gestürzt: Sollen sie in diesem späten Stadium noch abtreiben? „Schon deshalb ist inakzeptabel, daß Frauen vor dem Ultraschall, insbesondere vor dem in der 20. Woche, nicht über mögliche Konsequenzen aufgeklärt werden“, kritisiert der Osnabrücker Gynäkologe Bart Maris.

Beispiel Fruchtwasseruntersuchung: Frauen ab 35 sollen laut Mutterschaftsrichtlinien über genetische Risiken aufgeklärt werden. In vielen Sprechzimmern wird jedoch aus der Aufklärung die Aufforderung, den Eingriff durchführen zu lassen. Bei 63 Prozent aller Frauen, die einen Fruchtwassertest machen ließen, war laut Technikfolgenabschätzungsbericht des Deutschen Bundestages der Rat des Frauenarztes ausschlaggebend. Dabei ist deren Aufklärung oft genug mangelhaft: Viele GynäkologInnen warnen die Frauen zwar vor dem „hohen Risiko“, ein Kind mit Down-Syndrom zu gebären, verschweigen aber das Risiko, daß der Test eine Fehlgeburt verursachen könnte. Die Wahrscheinlichkeit, ein mongoloides Kind zu bekommen, liegt für eine 35jährige Frau statistisch bei 1:385. Die Gefahr, das Kind durch Test und Fehlgeburt zu verlieren, ist dagegen viermal so hoch!

Oft weisen GynäkologInnen auch nicht auf die begrenzte Aussagekraft der genetischen Tests hin – immerhin können nur etwa drei Prozent der Behinderungen überhaupt festgestellt werden. Sie lassen die Frauen in dem Glauben, der Test sei ein Garantieschein für ein gesundes Kind. Die Folge beschreibt die Kinderärztin Evelyn Kattner aus dem Barmbeker Krankenhaus in Hamburg: „Eltern, die eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen ließen, der ohne Befund war, tun sich hinterher viel schwerer, ein behindertes Kind anzunehmen, als solche, die sich nicht testen ließen.“

Ethisch-moralische Konflikte kommen bei bei FrauenärztInnen ebenfalls selten zur Sprache. Viele Schwangere wissen nicht, daß eine Abtreibung oft die einzige zur Verfügung stehende „Therapie“ ist. Eine Konsequenz, die frau sich aber unbedingt vor der Pränatalen Diagnostik klarmachen sollte. Das ist auch die Erfahrung der unabhängigen Beratungsstelle „Cara“ in Bremen. Ebba Kirchner-Asbrock von „Cara“: „Unter dem Zwang eines medizinischen Befundes ist oft kaum mehr eine stimmige Entscheidung zu treffen.“

Als der Bundestag 1995 den Paragraphen 218 neu formulierte, wurde die embryopathische (eugenische) Indikation ersatzlos gestrichen. Seit dieser Zeit führen Ärzte nach einer diagnostizierten Fehlbildung späte Abbrüche unter dem Deckmantel der „medizinischen Indikation“ durch. Danach ist ein Schwangerschaftsabbruch dann erlaubt, wenn dadurch „eine Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abgewendet werden kann“. Eine vage Formulierung, in der das behinderte Kind nur noch als „Gefahr“ für die Frau auftaucht. Der Abbruch ist die Beseitigung dieser „Gefahr“, wird also zur „Therapie für die Frau“ umgewertet. Der Abbruch ist auch an keine Frist mehr gebunden; er kann theoretisch bis kurz vor der Geburt stattfinden.

Die 36jährige Gerda Knorr* ist schockiert. In der 23. Woche wird ihr gesagt, ihr Ungeborenes habe ein Down-Syndrom. „Plötzlich war mir das Strampeln im Bauch fremd, und ich hatte nur das Gefühl: Weg damit.“ Das Wunschkind schrumpft zu einer medizinischen Diagnose zusammen, die ihre eigene körperliche Integrität bedroht. Im Krankenhaus hört sie zum ersten Mal, daß ein Abbruch nach der 16. Woche nicht als Ausschabung gemacht werden kann, sondern daß sie ihr Kind gebären muß. Schließlich ist in der 23. Woche der 20 bis 25 Zentimeter große Fötus bereits voll entwickelt. 23 Wochen alte Frühgeborene versucht man inzwischen mit großem medizinischem Aufwand am Leben zu erhalten. Die schweren Behinderungen, die dadurch bei etwa einem Drittel der Frühgeborenen entstehen, werden bewußt in Kauf genommen. Bei Gerda dagegen wird die Geburt mit Prostaglandinzäpfchen und Wehentropf künstlich eingeleitet. Zwei Tage dauert die schmerzhafte Prozedur, bis sie ein nach Luft schnappendes Bündel ausstößt, das Hebamme und Stationsschwester schnell wegtragen. Wohin, wagt Gerda nicht zu fragen.

Laut Bundesregierung hätte das Kind wieder reanimiert werden müssen: „Der Umstand, daß eine medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch im Spätstadium der Schwangerschaft gegeben war, vermag es keinesfalls zu rechtfertigen, auf lebenserhaltende Maßnahmen für das Kind zu verzichten.“ Eine rechtlich verworrene Situation, die sowohl ÄrztInnen und Hebammen als auch die Frauen unter zusätzlichen Druck setzt. Um einem solchen Konflikt auszuweichen, versuchen MedizinerInnen mit verschiedenen Methoden das Kind nicht lebend auf die Welt kommen zu lassen. Am Rande gynäkologischer Fortbildungen werden Tips ausgetauscht, wieviel Prostaglandin gespritzt werden muß, damit der Fötus den Abbruch nicht überlebt. Neuerdings, seitdem Abbrüche auch jenseits der 25. Woche durchgeführt werden, gehen MedizinerInnen dazu über, den Fötus gezielt durch eine Spritze ins Herz zu töten und erst anschließend die Geburt einzuleiten. „Wir bekommen seit der Neuregelung jede Woche mehrere Anfragen, ob wir den Fetozid im 6., 7. oder auch noch im 8. Monat durchführen würden“, so Bernd Joachim Hackeloer vom Pränatalzentrum in Hamburg-Barmbek.

Zwar hat der Gesetzgeber mit der Abschaffung der embryopathischen Indikation ein positives Zeichen zu setzen versucht: Ein vielleicht behindertes Ungeborenes sollte kein Grund zur Abtreibung sein. Doch das Gegenteil ist passiert: ein ethischer Dammbruch. Der Gynäkologenverband hat bereits die Bundesregierung aufgefordert, die 24-Wochen-Frist für Abtreibungen wieder einzuführen. FrauenärztInnen beschweren sich, von betroffenen Eltern unter Druck gesetzt zu werden. Frauen dagegen beklagen, daß sie im Falle „einer schlechten Nachricht“ von ÄrztInnen allein gelassen werden.

Der enorme medizinische Aufwand der letzten Jahre bezieht sich vor allem darauf, immer früher und perfekter fötale Normabweichler zu identifizieren. Die Selektion geschieht dabei unter medizinischem Vorzeichen im Verborgenen des Mutterleibs. Sie ist die Privatangelegenheit der Frau. Die betroffenen Mütter und Väter schweigen in der Öffentlichkeit – oft aus Scham und Schuld.

*Namen geändert

Die Autorin ist promovierte Sozialwissenschaftlerin. Zum Weiterlesen: Eva Schindele, „Schwangerschaft – Zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risiko“, 1995 bei Rasch und Röhring erschienen

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