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Frauen werden bei Steuern und Rente nicht gehört

■ Der Deutsche Frauenrat kritisiert die Pläne der Bonner Regierung zur Steuer- und Rentenreform: Erst die Erziehung von Kindern sichert das Rentensystem

Bonn (taz) – Die beiden Vorsitzenden des Deutschen Frauenrates meldeten sich gestern mit einer vernichtenden Kritik an den Bonner Plänen zur Steuer- und Rentenreform zu Wort. Frauen erwarteten von der Rentenreform einen entschiedenden Beitrag zu ihrer eigenständigen Alterssicherung. Davon seien die Vorschläge der Bundesregierung jedoch „weit entfernt“, kritisierte die stellvertretende Vorsitzende des Frauenrates, Ursula Sottong. Die geplante Rentenreform werde die Situation derzeitiger und künftiger Rentnerinnen verschlechtern.

Der Deutsche Frauenrat vertritt 52 Organisationen, darunter kirchliche, gewerkschaftliche, parteiliche und zahlreiche Berufsverbände. Obwohl der Rat 11 Millionen Frauen repräsentiert, hat die Bundesregierung seine Vorschläge zur Renten- und Steuerreform bislang nicht berücksichtigt. Auch die Medien interessieren sich nicht für die Vorschläge der Frauen. Die beiden Vorsitzenden redeten im Saal der Bundespressekonferenz vor leeren Stuhlreihen. „Wir müssen wohl erst zum Generalstreik aufrufen, damit wir gehört werden“, kritisierte Ursula Sottong.

Die männlichen Experten in der Rentenkommission hätten immer noch nicht begriffen, daß „die Erziehung von Kindern das Rentensystem sichert“. Als Bemessungsgrundlage für die Anerkennung von Kindererziehungszeiten sollten 100 Prozent eines Durchschnittseinkommens statt bisher 75 Prozent dienen. Das Erziehen von Kindern sei nicht weniger wert, als erwerbstätig zu sein. Wer arbeiten gehe und gleichzeitig Kinder erziehe, dessen Ansprüche sollten ohne Obergrenze und Einschränkungen zusammengezählt werden. Seit Jahren fordert der Deutschen Frauenrat, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse sollten in die Sozialversicherung aufgenommen werden. Viele Unternehmen, die Wettbewerbsvorteile erzwingen wollten, hätten reguläre Arbeitsplätze in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt. Sechs Millionen Menschen, die meisten davon Frauen, arbeiteten in ungeschützten Verhältnissen und seien damit von der Rentenversicherung ausgeschlossen.

Helga Schulz, Erste Vorsitzende des Deutschen Frauenrates und Steuerexpertin, nahm sich die Pläne der Regierung zur Steuerreform vor: Theo Waigel müsse noch eine ganze Menge zulegen, wenn dabei die versprochene „größte Steuerreform aller Zeiten“ herauskommen solle. Der Frauenrat erwarte Steuergesetze, welche „die großen Einkommensunterschiede zwischen Familien mit Kindern und Alleinstehenden sowie kinderlosen Familien vermindern“. Der geplante Grundfreibetrag von 12.365 Mark sei viel zu niedrig. Das Verfassungsgericht habe das Existenzminimum bei rund 14.000 Mark festgelegt. Auch dieser Betrag ist nach den Erfahrungen des Frauenrates noch zuwenig.

Helga Schulz forderte außerdem, das sogenannte Ehegattensplitting müsse endlich abgeschafft und jeder, egal ob Ehemann, Ehefrau oder alleinstehend, individuell besteuert werden. Das Splitting bringe Alleinverdiener-Ehepaaren ohne Kinder die größten Vorteile. Es dränge Ehefrauen vom Arbeitsmarkt oder in ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse.

Der Frauenrat will dagegen Familien mit Kindern steuerlich entlasten, egal ob die Eltern verheiratet sind oder nicht. Nach amtlichen Schätzungen kostet das Ehegattensplitting den Staat etwa 35 Milliarden Mark im Jahr. Dieses Geld, so Helga Schulz, ließe sich sinnvoller verwenden. Anstatt das unsinnige Splitting abzuschaffen, plane die Regierung jedoch die Besteuerung von Feiertags- und Nachtarbeit. Auch das Besteuern des Arbeitslosengeldes lehnt der Frauenrat ab. Schulz befürchtet, daß die Koalition ihre Steuerreform durch Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren will. Familien mit Kindern, die alles Geld für den täglichen Lebensunterhalt ausgeben müssen, seien davon am stärksten betroffen. Tina Stadlmayer

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