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Ich bleibe wie ich bin

Der 1. Bundeskongreß „Dicke Menschen“ tagte am Wochenende in Hamburg. Beschlossen wurde eine Antidiskriminierungsforderung und spektakuläre Aktionen zum Anti-Diät-Tag am 6. Mai  ■ Von Jan Feddersen

Dirk Bach ließ sich faxlich mit größtem Bedauern wegen Dreharbeiten entschuldigen. Trotzdem wünschte der extrarunde Komiker aus Köln ein herzliches „Toi, toi, toi“ den Veranstaltern, die nun ohne ihn auskommen mußten. Das taten sie denn auch mit Hingabe: der „1. Bundeskongreß von Dicken e. V.“ ging gestern mit der Verkündung einer Resolution zu Ende. Titel: „Dicke Menschen dürfen nicht weiter diskriminiert werden.“

Ein Wochenende lang trafen sich die selbstbewußtesten unter den unschlanken Menschen in Hamburg. Aus allen Teilen der Bundesrepublik waren 145 Frauen und fünf Männer angereist. Auf dem Gebiet der früheren DDR, räumt Gudrun Wohlrab ein, angehende Sozialpädagogin aus Hamburg und Vorsitzende der organisierten Dicken, im Osten Deutschlands gibt es noch nicht viele Mitglieder. Ob es daran liegt, daß, wie eine Teilnehmerin am Freitag abend zur Eröffnung vermutet, in der DDR die Cindy-Crawford- Norm – schlank bis hager – als nicht so wichtig galt? Daß dort Sex und Körper weniger geprüft wurden als im Westen? Gudrun Wohlrab mag es nicht genau sagen: „Vielleicht tun sich die Menschen im Osten mit Vereinen noch immer schwer.“

Mutmaßungen, Annahmen, Thesen: nicht mehr und nicht weniger. Der Kongreß hatte kaum inhaltlichen Klärungsbedarf. Hauptsächlich wurden all die Themen besprochen, die allen eh geläufig waren. Daß dicke Menschen bei Bewerbungen eher ausgesiebt werden als dünne; daß die meisten Männer eher schlanke Frauen bevorzugen; daß die Mode meistens Konfektionsgrößen für die modelhaften Figuren bereithält; daß überhaupt drahtige Menschen als schöner, attraktiver, lebensfähiger und munterer gelten.

Das alles wußten die 145 Frauen, die nach Hamburg kamen, allemal. Worum es ihnen zu tun war, entsprach ganz dem Stolzprogramm aller Minderheiten, die sich einer ignoranten Welt gegenüber zu behaupten haben: Man erkennt, daß man kein Einzelschicksal ist. Und: Man will gemeinsam etwas, irgend etwas tun. „Ich bin froh, endlich mal wieder nur unter Dicken zu sein“, sagte eine Frau aus Frankfurt am Main, „da fühlt man sich so selbstverständlich.“ Andere Frauen nickten, als sie dies sagte.

Am Sonnabend wurde der zweite Schritt des Programms vollzogen – vom Coming-out, dick zu sein, zum Going-public in die Öffentlichkeit: Da bereitete man Radioprogramme vor, ging zusammen schwimmen, übte sich im orientalischen Tanz, sprach miteinander. Sonntag früh gingen viele sogar kollektiv wie bei einem öffentlichen Bekenntnis zum Fischmarkt, dort, wo in Hamburg traditionell Jahrmarktgänger und Flaneure wenige Stunden nach Mitternacht zusammenkommen. „Es war toll, sich nicht blöd fühlen zu müssen“, sagte eine glücklich.

Hauptsächlich aber wurde gesprochen über das immergleiche Thema: Wie schafft man es, sich gegen ein übermächtiges Schönheitsideal zu behaupten? Wie konstruiert man sich ein Gefühl, begehrenswert zu sein? Gudrun Wohlrab erzählt, daß manche Frauen durchaus Erfolg haben mit Kontaktanzeigen, in denen sie ihr Körpergewicht nicht verschweigen, dann, wenn sie das niedliche Wort „mollig“ durch das nüchterne „dick“ tauschen: „Da gibt es Männer, die stehen auf dicke Frauen. Aber dann fragt man sich, ob die vielleicht nur unseren Körper meinen.“ Eine Bemerkung, die noch viel Arbeit am Selbstbewußtsein andeutet läßt.

Abends tanzte der Kongreß. Frau zeigte sich genervt über das Medieninteresse, über die Kameras. Nächstes Jahr in Dortmund, auf dem 2. Bundeskongreß, will man zur Dickendisco keine TV- Beobachtung mehr zulassen. Zunächst aber wollen die Frauen eine Idee aufgreifen, die in Großbritannien und den USA mit Erfolg praktiziert wird: Für den 6. Mai rufen sie den Anti-Diät-Tag aus. 97 Vorschläge lagen schließlich vor. Die vorletzte Idee lautet: „Fragt bei Autoherstellern an, welche Modelle sie für dicke Menschen anbieten.“ Davor rangiert die Anregung: „Trefft euch zu einem öffentlichen Frühstück im Park. Dicke Menschen müssen nicht versteckt essen.“ Originell schließlich Vorschlag Nr. 74, der sich an den prominentesten Dicken der Nation wendet: „Fordert Bundeskanzler Kohl mit Briefen auf, sich für die Rechte dicker Menschen einzusetzen.“

Die Heimfahrten fürchteten die meisten allerdings schon Stunden zuvor. Man kann sich eine ICE- Fahrt von Hamburg nach Freiburg kaum unbequemer vorstellen. Aber eine Teilnehmerin aus dem Breisgau meinte nur: „Dann sitze ich eingezwängt achteinhalb Stunden in einem Sitz, der nur für Leute erdacht wurde, die auf mich unterernährt wirken.“

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