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Paulchen und seine Mutter

Paul Seiler ist Zarah Leanders Anwalt und Statthalter. Seine Schöneberger Wohnung ist Museum und Altar. Zum 90. Geburtstag der Diva lädt er zur Hommage  ■ Von Jens Rübsam

Es wäre so einfach. Sie abzuhitlern als Nazisse, als des Deutschen Reichs prominenteste Diva, als Heimatfrontsängerin. Ihren Filmerfolg „Die grosse Liebe“ (gedreht 1941) als Beleg zu nehmen für des Führers Angriffsgelüste auf die Ostfront. Ihre Lieder „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ und „Davon geht die Welt nicht unter“ als singende, klingende Durchhalteparolen zu interpretieren. Es ist so einfach, Zarah Leander, dieser Mannfrau aus Schweden mit der kontraalten Kehle und dem geldpanzergroßen Herzen, den braunen Ledermantel anzulegen und sie abzugeißeln. Es wäre all dies zu einfach.

Es wäre auch so einfach, Paul Seiler, Berlins hinreißendsten Leander-Verehrer, eine Nazifahne unters Bett, eine rechte Gesinnung in den Kopf und den Titel „Erinnerungsfanatiker“ ins Stammbuch zu schreiben. Versucht haben es viele: Diesen 60jährigen, der sich als Anwalt und als Statthalter der Leander bezeichnet, der von Zarah noch heute, 16 Jahre nach ihrem Tod, in der Gegenwart redet, diesen 60jährigen als Spinner abzustempeln. Gerecht wird man damit Paul Seiler nicht.

Nennen wir ihn fortan Paulchen Leander. Paulchen deswegen, weil Zarah ihn so nannte, Leander – na, Sie wissen schon. Paulchen hat irgendwann aufgehört, für sich selbst zu leben. Seine Schöneberger Altbauwohnung ist ein Zarah- Leander-Museum, seine Sammlung ist die größte, die es gibt, seine Flurwände sind tapeziert mit mutterkomplexgroßen Fotos – Zarah mit schmachtendem Ufa- und Zarah mit kühlem Vampblick. Seine Welt ist voll Kitsch – vergoldet der Spiegel und der Kronleuchter, goldglänzend die Jalousien. Und mittendrin „das Paulchen“.

Versuchen wir, ihn zu verstehen. Diesen siebenjährigen Knaben im betulichen Bern, im Jahre 1943. Der Krieg tobt anderswo, nur nicht in der Schweiz. Der Vater sitzt vor einem Volksempfänger und ruft ihn herbei: „Gleich singt eine Frau mit einer tiefen Stimme.“ Er hört die Leander und ihr Lied vom Wunder, das einmal geschehen wird. Die Härchen an den Armen des Knaben wölben sich, Jahre später sagt Paulchen: „Es muß schon damals eine Bereitschaft in mir vorhanden gewesen sein, von dieser Stimme überdurchschnittlich berührt zu werden.“ Den Namen dieser Frau vergißt er. Irgendwas aber bleibt, und dieses Irgendwas wird wachgerufen am 1. Januar 1954. Paulchen sieht die Leander in „Ave Maria“ das erste Mal auf der Leinwand.

Versuchen wir, ihn zu verstehen. Die Mutter stirbt 1947, da ist Paulchen elf. Er lernt was Gescheites, Teppichweber, nichts Großes. Er wäre so gern etwas Großes geworden, Schauspieler vielleicht. Unterricht hat er genommen bei Margarethe Schell-Noe, der Mutter von Maria Schell und später bei Hilde Körber, einer Fimpartnerin von Zarah Leander, an der Max- Reinhardt-Schule in Berlin. Es kamen kleine Auftritte in der Provinz, ein paar größere auf großen Bühnen und wieder ein paar kleinere vor der Kamera. Paulchens Resümee fällt heute nüchtern aus: „Meine kleine unbedeutende Schauspielerkarriere hat mir aber immerhin vermittelt, was es bedeutet, auf einer Bühne zu stehen.“

Da war es die Leander, die dem Paulchen 1956 das Gefühl gab, was Großes zu sein. Er sah sie vor einem Hotel in Luzern, wagte es, sie anzusprechen, wollte ihr ein Kompliment machen – „Sie machen die Leute mit Ihren Liedern so glücklich“. „Und Sie“, fragte die Leander, „was machen Sie?“ „Ich“, sagte das Paulchen, „ich bin Teppichweber.“ „Sehen Sie“, sprach die Leander, „Sie machen die Leute mit Ihren Teppichen glücklich.“ Da war die Leander für Paulchen so etwas wie eine Mutter geworden. Vielleicht ja auch deswegen, weil sie Lieder sang wie „Einen wie dich könnte ich lieben“. Lieder für jeden und gerade auch für Schwule. Lieder für Menschen wie Paulchen.

Vielleicht muß man all das nicht verstehen. Aber man kann es durchaus nachvollziehen. Paulchen – „ich war immer ein kleiner und ein etwas schwächlicher Junge“ – Paulchen hatte Anerkennung bekommen von einem Weltstar. Nun war dieser Star für ihn ein Gott geworden. Nun, da die Leander längst tot ist, ist Paulchen ihr Anwalt und ihr Verteidiger – vor allem jenen gegenüber, die Zarah nur in die eine Schublade drücken wollen. „Sie hat keine politische Meinung. Sie hat keine Farbe. Politik bedeutet ihr nichts.“ Das sagt ihr Anwalt. Das sagt Paulchen.

Am kommenden Samstag wäre Zarah Leander 90 Jahre alt geworden. Paulchen weiß, daß eine Ehrung von offizieller Seite nicht möglich ist, „aus politischen Gründen“. Erinnern will er mit seinem Buch „Ich bin eine Stimme“, erschienen Anfang März bei Ullstein, und mit einer Hommage am Samstag in der Filmbühne am Steinplatz.

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