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Live aus der Aula

■ Wenn die Zielgruppe nicht zu Ihnen kommt, gehen Sie doch einfach hin: Coca-Cola und Kiss FM sponsern das erste Schülerradio für die große Pause

Der 2. April 1997 ist laut Presseerklärung des Berliner Privatsenders Kiss FM ein radiogeschichtlich bedeutsamer Tag. Wahrscheinlich hört Geschäftsführer Andreas Clausen deshalb an diesem Morgen in der Robert-Blum- Oberschule in Berlin-Schöneberg auch gar nicht mehr auf zu grinsen. „An diesem Tag geht das erste (!) und einzige (!!) Schülerradio Deutschlands ,on air‘“, verkündet er, aus der Schule direkt in die Schule gesendet und von Kiss FM, Coca-Cola und Siemens gesponsert. Also auch promotiongeschichtlich ein bedeutsamer Coup.

Den Elftklässlern Robert Scymoniak und Oliver Trenkamp hingegen merkt man ihre Aufgeregtheit in dem kleinen Sendestudio über den Dächern von Berlin kaum an. Eher sind sie genervt von der versammelten Lokalpresse, die immer wieder die gleichen Fragen stellt. Denn seit ein paar Minuten sind die beiden nicht mehr Robert und Oliver, sondern DJ Rob und DJ Oliva (sprich: Oh-lei-va) und damit die Initiatoren von „10829 (nach der Postleitzahl des Bezirks) Highschool-Radio“ und zudem echte „Kiss-Kinder“, wie die Pressemappe glauben macht.

Vor drei Jahren fingen Robert und Oliver mit ihrer Musiksendung „Alarm!“ im Berliner Offenen Kanal an, womit sie sich später bei Kiss FM bewarben. Dort war ein gewisser „Funkmaster Confetti“ so begeistert, daß er sich der beiden als Mentor annahm und sie in die letzten Geheimnisse der Privatradio-Moderation einweihte. Und als Rob und Oliva vor einem Jahr die Idee zu einem Schulradio hatten, war der ganze Sender sofort begeistert.

Als echter Förderer hat „Funkmaster Confetti“ natürlich auch die Moderation der Sendestartzeremonie in der Aula übernommen. „Ihr habt schulfrei, darum ist das geil“, ruft er von der Bühne herab, wo die Schüler jubeln, als wäre Extrabreit wieder auferstanden. „Habt ihr euch schon eine Cola gekrallt“, raunt ein Jugendlicher verschwörerisch seinen Kumpels zu, denen er vorher Kiss-FM-Aufkleber auf den Rücken gepappt hatte.

Wo solche Stimmung ist, will auch die sonst traditionell jugendfeindliche Landesregierung nicht hinten anstehen. „Das Team ist gut drauf, aber ohne eure Mitarbeit klappt das nicht. Hoffentlich klappt das Projekt, damit ihr nicht wieder allein mit eurem Walkman auf den Schulhof rumwandern müßt“, ruft Ingrid Stahmer, als wäre sie ein Teil von Tic Tac Toe. Doch die Ansprache der „ehemals engagierten Schülerzeitungredakteurin“ interessiert so recht niemanden, denn nun läuft der Countdown – die stellvertretende Bürgermeisterin drückt den Startknopf, und prompt dröhnt Republicas Popsong „Ready to go“ durch die Aula. Fast wie bei den Jusos.

Künftig soll der Schulhof in der großen Pause aus über 40 Lautsprechern beschallt werden – zunächst mit der Sendung „Alarm“ (zweite große Pause), später noch mit „Break Beat!“ unter dem lebensnahen Motto „Haltet durch“. Und wenn das neunköpfige Team technisch so weit ist, soll noch vor Schulbeginn die Frühstücksnummer „Erwachet! – Der Horror beginnt“ dazukommen.

Das Vorhaben der Privatfunker, Werbespots in den Schulfunk einzustreuen, wurde vom Senat und der Landesmedienanstalt gekippt, als weitere Auflage muß das Verhältnis von Musik und Wort eins zu eins sein. So werden zwischen HipHop-Songs wie „O shit, Frau Schmidt“ oder Musik der Britpop-Band Oasis Beiträge über Sport, Kino, Fernsehen und Parties gesendet sowie von den Schülern erstellte Nachrichten über alles, was gerade Wichtiges in ihrer Schule passiert. Das obligatorische Dr.-Sommer-Team wird mit dem Ressort Liebe & Sex ausgerechnet vom jüngsten Redaktionsmitglied bestückt.

Damit das Programm jugendfrei bleibt, wird sich die Vertrauenslehrerin Angelika Kostero in den Pausen vor den Lautsprecher hängen und „erst mal immer an den Redaktionskonferenzen teilnehmen“. Man müsse schließlich aufpassen, daß das Niveau nicht zu niedrig sei. Als eine Art Selbstzensur fungiert zudem die Arbeitsgemeinschaft Schülerradio, zusammengesetzt aus Kiss-FM-Mitarbeitern, Lehrern, Eltern und Schülern. Und selbst dem Direktor hat man im vorauseilendem Gehorsam einen roten Knopf auf die Schreibtischplatte geschraubt, damit nicht doch einmal ein Spruch „Frau Sowieso hat wieder keinen BH an“ (Kostero) für Unruhe sorgt. Die Angst vor dem Radio als steter Unruheherd war neben den Bedenken gegen das Sponsoring ein Hauptargument, warum sich die Lehrer erst gegen das Projekt gesperrt hatten und zwei Konferenzen nötig waren, bevor zwei Drittel von ihnen einverstanden waren. Ein Scheck über 15.000 Mark von Coca-Cola und Kiss FM räumte schließlich auch die letzten Zweifel vom Tisch. „In Zeiten der Mittelknappheit muß man als Schule wohl so was machen“, sagt die Vertrauenslehrerin, schließlich erhalte von dem Geld jeder der 607 Schüler ein neues Schulbuch (Coca-Cola-Aufkleber müssen vorläufig nicht in diese Bücher geklebt werden, so wie es der Konzern ursprünglich wünschte). Und vielleicht sei das Radio ja eine ganz gute Vorarbeit für das angedachte Unterrichtsfach „Medienkunde“.

Unterdessen erwiesen sich die meisten Schüler zum Sendestart als recht undankbare Zielgruppe: Nachdem alle Kiss-FM-T-Shirts und Aufkleber verteilt waren, leerte sich die Aula schlagartig, so daß die geplante Party mit Starmoderator Medi Baby und reichlich Cola ausfallen mußte. Schulfrei ist halt doch besser als Radio. Ania Mauruschat

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