: Lieber ein Mord als ein Umzug
■ Eine vietnamesische Zeugin bricht das Schweigen über die Zigarettenbande "Nghia-Xuan". Sieben Bandenmitglieder sind angeklagt
Etwas hilflos sitzt die schmächtige Vietnamesin T. auf dem Zeugenstuhl. Sie ist eine der wenigen Zigarettenverkäuferinnen, die lieber mit Polizei und Justiz zusammenarbeitet als mit ihren kriminellen Landsleuten. Angeklagt sind in dem Prozeß am Landgericht sieben ihrer Landsmänner, allesamt jünger als 35. Sie sollen als Soldaten der Nghia-Xuan-Bande mindestens 15 Verkaufsstände illegaler Zigarettenhändler abkassiert, Landsleute erpreßt und entführt sowie Waffen besessen haben.
T. brach das Schweigen über die Strukturen der „Zigaretten-Mafia“. Sie hatte nichts mehr zu verlieren. Die 1995 illegal nach Deutschland eingereiste 26jährige Frau verdiente sich ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf unverzollter Zigaretten. Das Recht auf einen Verkaufsplatz in Friedrichshagen erkaufte sie mit monatlich 2.500 Mark bei einem der„Soldaten“. Dieser fand Gefallen an der jungen Frau und bestellte sie in eine Schöneberger Wohnung.
Was er nicht wußte: Diese Wohnung wurde inzwischen von Mitgliedern einer höheren Ebene innerhalb der „Mafia“ benutzt. T.s Verehrer habe den Auftrag erhalten, sie als lästige Mitwisserin zu erschießen, sagte die Zeugin. Ihre verzweifelte Bitte, die „Chefs“ mögen doch die Wohnung wechseln, wenn das Wissen um die Adresse eine solche Gefahr für sie darstelle, quittierte er mit dem Einwand, es sei leichter, einen Menschen umzubringen, als eine Wohnung zu wechseln. T. mußte nicht sterben, weil sie sich fügte, in einer „Soldatenwohnung“ in Weißensee mit den Abkassierern zu leben. Die Morddrohung aber blieb.
Einen Gerichtstermin wegen Kaufhausdiebstahls wollte sie zur Flucht in die Freiheit nutzen. Der Gerichtsdolmetscher überzeugte sie von der Ausweglosigkeit ihrer Idee und informierte den Richter.
Dank ihrer Aussagen ermittelte die Polizei nicht nur die Bandenmitglieder, sie fand auch mehrere Wohnungen und Waffen. T. steht unter Zeugenschutz.
Im Unterschied zur Polizei, die sich mit psychologischer Begleitung bemüht hatte, die Zeugin zu ermutigen, befragte sie Richter Hans-Jürgen Brüning alles andere als sensibel. Er forderte sie auf, Details über ihre Einreise nach Deutschland preiszugeben – was eine Abschiebung in ein sicheres Drittland bedeuten könnte –, und fragte wiederholt und penetrant nach eventuellen sexuellen Diensten der Zeugin für die Angeklagten. Vietnamesische Namen sprach er falsch aus, verwechselte Vor- und Nachnamen und wußte in der vietnamesischen Mentalität fußende indirekte Antworten und Umschreibungen nicht zu deuten.
Der Prozeß ist auf 37 Verhandlungstage angesetzt. Marina Mai
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen