piwik no script img

Frauen geben den Ton an

Das Solistinnenkonzert präsentiert Werke von fünfzehn Komponistinnen: von Anne Alice LeBaron über Elfriede Jelinek bis Ruth Zechlin  ■ Von Waltraud Schwab

Auf die Suche nach dem verlorenen Ton begibt sich heute abend das Internationale Solistinnenkonzert in der Berliner Philharmonie. Sechs Solistinnen – Jenny Abel (Violine), Christina Ascher (Alt), Alice Giles (Harfe), Camilla Hoitenga (Flöte) und Caroline Weichert (Klavier) – führen Werke von fünfzehn weithin unbekannten Komponistinnen auf. Das Konzert ist das fünfte seiner Art und das erste in der Philharmonie. Zum ersten Mal werden in diesen heiligen Hallen ausschließlich Komponistinnen vorgestellt.

Elke Ringeling, Betreiberin des Frauenhotels in der Kleinstadt Schleswig, hatte von 1993 bis 1996 mit Unterstützung der Frauenbeauftragten und der Landeskulturbehörden die ersten vier Aufführungen in Schleswig-Holstein organisiert. Anlaß, nunmehr einen repräsentativen Rahmen in Berlin zu suchen, ist das 150. Todesjahr der in Berlin aufgewachsenen Komponistin Fanny Hensel-Mendelssohn (1805–1847).

Das Leben der vier Jahre älteren Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy ist geradezu beispielhaft für die Widerstände, mit denen sich komponierende Frauen konfrontiert sahen. Der Bruder wurde berühmt, die Schwester nicht. Etliche ihrer Werke sind unter seinem Namen veröffentlicht worden. Sie bekamen zwar beide Unterricht in Klavier und Komposition. Er aber durfte reisen, sie nicht, sie blieb in ihrem privaten und beruflichen Leben an das Haus gebunden. Der Vater erlaubte ihr nur, Lieder und kleine Stücke zu komponieren, ihre umfangreichen Orchesterwerke entstanden heimlich. Der Vater und der Bruder waren dagegen, daß ihre Werke gedruckt würden. Als Fanny 20 Jahre alt war, wurden im Gartenhaus der Familie regelmäßig „Sonntagsmusiken“ mit Musikern der Hofkapelle veranstaltet. Felix sollte dadurch früh professionelle Konzerterfahrung machen. Mit 25 Jahren durfte Fanny endlich diese Rolle übernehmen und als Pianistin, Sängerin, Dirigentin und Organisatorin auftreten. Aus diesen Sonntagsmusiken entwickelte sich einer der führenden Salons in Berlin, die künstlerische und geistige Avantgarde traf sich dort. Am 14. Mai 1847 starb Fanny Hensel plötzlich an einem Gehirnschlag. Ihr Bruder, der sie „mein musikalisches Gewissen“ nannte, hörte nach ihrem Tod auf zu komponieren und starb ein halbes Jahr später.

Begabung, viel Zeit, ein förderndes Umfeld und gute LehrerInnen gelten als unabdingbare Voraussetzungen, um als Komponist oder Komponistin bestehen zu können. Die Biographien der im Solistinnenkonzert vorgestellten Künstlerinnen sprechen dafür, daß sie dies alles hatten. Auf Scheidewege und Leerstellen verweisen sie nicht. Und doch sind es gerade sie, an denen sich das Leben der Komponistinnen bricht.

Die früheste der heute auf dem Programm stehenden Komponistinnen ist Luise Adolpha LeBeau (1850–1927). Sie war Schülerin von Clara Schumann und verdiente sich – wie viele andere auch – ihren Lebensunterhalt vor allem durch musikpädagogische Arbeit. Die Kriege setzten die Zäsuren in ihrem Leben, genauso wie bei den Berlinerinnen Alice Samter (geb. 1908) oder Grete von Zieritz (geb. 1899). Die Lehrerin Alice Samter konnte sich eigentlich erst nach ihrer Pensionierung ganz dem Komponieren widmen. Die St. Petersburgerin Galina Ustwolskaja (geb. 1919), Schülerin von Schostakowitsch, die wie viele ihrer russischen KollegInnen einen starken religiösen Impuls hat, half während des Zweiten Weltkriegs in einem Militärhospital. Ihre Kompositionen – mit vielen Fortes, die wie Schläge gesetzt werden – sind nichts fürs leichte Hinhören.

Fast immer sind die Komponistinnen auch Interpretinnen, wobei Piano, Violine und Harfe die vorherrschenden Instrumente sind. Sie arbeiten als Musikkritikerinnen wie die in Melbourne geborene Peggy Glanville-Hicks (1912–1990) oder als Schriftstellerinnen wie Elfriede Jelinek (geb. 1946). Ihr in Berlin zu hörendes Gedicht „Meine Liebe“ hat sie mit sparsam gesetzter, strenger Zwölftonmusik selbst vertont. Jelinek studierte in den 60er Jahren Komposition und Orgel und entschied sich erst später für die Schriftstellerei. Daß Musik nach wie vor in ihr schriftstellerisches Schaffen hineinwirkt, zeigt sich schon am Titel ihres Buches „Die Klavierspielerin“.

Einen Namen gemacht hat sich auch Ruth Zechlin. Ihre eigenwilligen, strengen und gleichzeitig verspielten Kompositionen entwickelte sie – unbeeindruckt von ideologischen und stilistischen Zwängen – in der DDR. Wie Alice Samter vertonte sie Texte von Nelly Sachs, Else Lasker-Schüler und Ingeborg Bachmann.

Jüngere Komponistinnen wie die 1952 geborene Finnin Kaija Saariaho experimentieren mit Elektronik. Sie arbeitet mit manipulierten Tönen, um immer neue Hörmuster zu entwickeln. Der Harfenistin Anne Alice LeBaron (geb. 1953) dagegen geht es um die Vermischung von „unterhaltender“ und „ernster“ Musik, von Improvisation und traditionellen Stilelementen.

Da die Musik der im Konzert vorgestellten Komponistinnen wenig bekannt ist, gibt es auch kein Wiedererkennen. Musik aber lebt – zumindest in der heutigen akustisch überfluteten Welt – von der Wiederholung und der Redundanz. Ob Neues und möglicherweise einmal Gehörtes sich behaupten kann, ist fraglich. Das Solistinnenkonzert zwingt zu einer fast schon archaischen Art des Musikhörens unter den Bedingungen der Einmaligkeit.

Allerdings ist geplant, später eine CD in der Reihe „Musik für die Welt von morgen“ herauszugeben. Der Titel der Reihe sagt es: Frauen tun gut daran, sich als Pessimistinnen des Intellektes und als Optimistinnen des Geistes zu verstehen. Die Kompositionen von Frauen sind eben nach wie vor nur Musik für eine zukünftige Welt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen