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Den Wessis zeigen, wo es langgeht

■ Die Literaturrecherche vom eigenen PC aus entlastet nicht nur den Bibliothekar, sie ist auch effektiver

Geht es um die Wissenschaftslandschaft in den neuen Bundesländern ist eine Klage immer wieder zu hören: Den Ton geben die alten Bundesländern vor. Nicht nur, daß die meisten Führungspositionen in den neugegründeten Instituten von Wessis besetzt wurden, auch die Struktur und der Aufbau der Forschungseinrichtungen ist von der alten Bundesrepublik übernommen worden. Um so erfreulicher ist es, wenn es einmal andersherum läuft. „Beim Infomanagement zeigen die ostdeutschen Institute den Wessis, wo's langgeht“, davon ist Hartmut Koch überzeugt.

Als Mitarbeiter der „Scientific Consulting – Schulte-Hillen GmbH“ hat Koch über drei Jahre ein Projekt betreut, das Wisssenschaftlern in den neuen Bundesländern mit den weltweit verfügbaren Datenbanken für wissenschaftliche Literatur vertraut machen sollte. Am Ende des Projektes sollten die Forscher in der Lage sein, eigenständig von ihrem Arbeitsplatz-PC aus Literaturrecherchen durchzuführen. Rund vier Millionen Mark hat das Forschungsministerium zur Verfügung gestellt. Einen erheblichen Anteil mußten die 19 beteiligten Forschungseinrichtungen selbst aufbringen.

„Bei uns war das Programm ein voller Erfolg“, berichten übereinstimmend Anne Otto und Friedrich Mieh, die beim Geoforschungszentrum in Potsdam, für die Projektdurchführung zuständig waren. Berührungsängste und vor allem das Konkurrenzdenken der Bibliothekare, das an einigen Forschungsinstituten ein nicht zu verkennendes Hindernis darstellte, spielte am Geoforschungszentrum keine Rolle. „Wir haben von Anfang an auf Kooperation gesetzt“, berichtet die Geophysikerin Otto. Durch die regelmäßigen Schulungen kann ein großer Teil der rund 500 Mitarbeiter am Geoforschungszentrum jetzt selbst auf die Suche nach benötigte Literatur gehe. Als besonders hilfreich erwies sich ein Pauschalvertrag mit dem Fachinformationszentrum Karlsruhe (FIZ). Für einen Festpreis von 100.000 Mark durften die Potsdamer Wissenschaftler die FIZ-Datenbanken zeitlich uneingeschränkt nutzen. Inwzischen ist der Vertrag ausgelaufen, und es ist unklar ob ein neuer zustande kommt. Das FIZ möchte gern mehr Geld herausschlagen.

Mittelweile wenden die Wissenschaftler sich nicht mehr für jede Recherche an die zentrale Informationsbeschaffung. Kleinere Suchen werden selbst übernommen, nur bei größeren Aufträgen oder wenn es „besonders kompliziert“ ist, wird der zentrale Rechercheur eingeschaltet. „Das heißt aber nicht, daß wir weniger zu tun haben“, meint Otto, „denn die Mitarbeiter wissen jetzt, was die Datenbanken alles leisten können. Jetzt kommen viel häufiger Spezialanfragen.“ Daß die Wissenschaftler von der elektronischen Suche nach Fundstellen für Literatur ausgiebig Gebrauch machen, ist an der Anzahl der Fernausleihen abzulesen. Seit das Endnutzerkonzept eingeführt worden ist, hat sich die Zahl der Fernausleihen verdreifacht.

„Vom Endnutzerkonzept sind wir noch weit entfernt“, berichtet dagegen Wolfgang Kozerke vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam, „von den ursprünglich zwanzig Mitarbeitern, die wir für die Schulungen vorgesehen hatten, sind etwa sieben übriggeblieben.“ Das ist zum Teil auf die hohe Fluktuation am Institut zurückzuführen. Die Arbeit sei auf jeden Fall leichter geworden. „Am günstigsten ist es eh, wenn ein routinierter Rechercheur die Literatursuche übernimmt“, ist Kozerke überzeugt. Das gehe am schnellsten, schließlich berechneten viele Anbieter auch die Verbindungszeiten.

Für die ganz schnelle Literaturbeschaffung können Wissenschaftler die elektronische Direktbestellung nutzen. Über Internet werden die Artikel geordert, beispielsweise bei der Universitätsbibliothek in Göttingen oder bei „Jason“ (Journal article send on demand) an der Uni Dormund. Innerhalb von 48 Stunden liegt der gewünschte Fachaufsatz vor. Als Fax oder per E-Mail direkt auf den Computerbildschirm erreicht die Publikation den Wissenschaftler. „Die Netze dürfen nur nicht zu langsam sein“, berichtet Irina Sens von der Göttinger Bibliothek. Die prompte Lieferung hat natürlich ihren Preis. Fünf Mark für ein Dokument stellt die Bibliothek dafür in Rechnung.

Nachdem die Technische Bibliothek Hannover einen Musterprozeß durchgestanden hat, ist auch das Problem mit dem Copyright geklärt. „Für jeden Auftrag muß der bestellte Fachaufsatz einzeln in den Computer eingescannt und nach der Übertragung sofort wieder gelöscht werden“, erklärt Sens, „selbst wenn gleich hintereinander dieselbe Publikation verschickt wird.“ Wird ein Dokument nur vorübergehend in den Arbeitsspeicher eines Computers eingelesen, gilt dies nicht als Verstoß gegen das Urheberrecht.

Von einem „Paradigmenwechsel“ spricht Anne Otto: Es gehe nicht mehr darum, daß die Zeitschriften in der Bibliothek parat lägen, „sondern daß die gewünschten Artikel schnell beschafft werden können.“ Das ist auch billiger, vor allem wenn es sich um Zeitschriften handelt, die nicht so häufig genutzt werden. Die Print-Ausgaben können dann auch eingespart werden. Wolfgang Löhr

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