: Großer Fortschritt
■ Kirchensynode: Paare an der Kraft der Liebe messen
Am Ende kreiste der Streit nur noch darum, ob die evangelische Kirche eheähnliche Lebensgemeinschaften anerkennen oder achten wolle. Daß homosexuelle Beziehungen verdammt werden, stand nicht mehr zur Diskussion. Die Ehe zwischen Mann und Frau bleibt zwar weiterhin als Leitbild erhalten – doch unverheiratete, schwule oder lesbische Paare stehen dem nicht mehr entgegen. Sie werden – wie bei Christen üblich – künftig an der Kraft ihrer Liebe gemessen und nicht mehr an ihrer Sexualität.
Das klingt widersprüchlicher als es ist: Die nordelbische Kirche hat damit einer Liberalisierung des gesellschaftlichen Diskurses zu alternativen Lebensformen entscheidend den Weg geebnet. Jetzt kann sich keine Gemeinde mehr hinter bischöflichen Beschlüssen verstecken. Konservative und Liberale müssen jetzt miteinander sprechen, sie müssen sich einander erklären, sie werden Kompromisse schließen müssen. In einer demokratischen Gesellschaft ist das der einzig denkbare Weg, emanzipatorische Anliegen durchzusetzen.
Daß die nordelbische Synode sich nicht weitergehenden Vorstellungen angeschlossen hat, kann bedauert werden. Es ändert nichts daran, daß der synodale Disput sich nachhaltiger auswirken wird als rechthaberisches Beharren auf Maximalforderungen (weg mit der Ehe an sich usw.). Noch vor 20 Jahren galt in der evangelischen Kirche Homosexualität als Sünde schlechthin, Kinderlosigkeit als übles Schicksal. Daß mittlerweile so nur noch in rechtskonservativen Kreisen gedacht wird, liegt am Beharrungsvermögen von (Kirchen-)Politikerinnen wie Elisabeth Lingner. Aber auch an der Dialogfähigkeit von Schwulen und Lesben in der Kirche. Sie wissen, daß in puncto Homosexualität vor allem ein Berg voller Vorurteile und Ängste abzubauen ist.
Sie haben während der vergangenen zehn Jahre viel geleistet – in Gremien, in der Provinz, nicht nur in Metropolen- Salons. Es ist nun an den Homosexuellen in den Parteien, den Gewerkschaften, Vereinen und Verbänden, mit ebenso langem Atem für ein ausgewogenes Verhältnis zum anderen, zum Fremden, zum einst Stigmatisierten zu sorgen. Die Kirchen haben gezeigt, wie kräftezehrend und gewinnbringend zugleich gestritten wird. Nun ist der Rest der Gesellschaft gefordert, das auch zu ihrer Sache zu machen. Jan Feddersen
Bericht Seite 5
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