1. Mai: Kampftag der Polizei

■ Abschied von der Deeskalation: Mit mehreren tausend Polizisten im Einsatz versuchte Innensenator Schönbohm nachdrücklich, für Ruhe in der Stadt zu sorgen. Bis zum Abend 160 Festnahmen

Gegen 17 Uhr hatten die Teilnehmer der „revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen“ wenigstens eines ihrer Ziele erreicht: den Rosenthaler Platz. Noch eine Stunde zuvor hatte es allerdings so ausgesehen, als würde der Demonstrationszug vorzeitig von der Polizei aufgelöst werden. Ein um das andere Mal hatten Polizeibeamte mit Schlagstöcken auf Demonstranten eingeprügelt, um angeblich vermummte Straftäter festzunehmen.

Von den über 10.000 Demonstranten, die um 14 Uhr vom Rosa- Luxemburg-Platz über den Senefelder Platz und die Choriner Straße in Richtung Spandauer Vorstadt gezogen sind, nahmen nur noch etwa 5.000 an der Abschlußkundgebung teil. Im Anschluß an die Kundgebung zogen mehrere Gruppen von Demonstranten in Richtung Prenzlauer Berg. In der Kastanienallee wurden dabei erste Barrikaden errichtet und Bauwagen angezündet.

Bis Redaktionsschluß nahm die Polizei nach eigenen Angaben 100 Personen fest. Während der Demonstrationszug maoistischer und leninistischer Gruppen in Kreuzberg weitgehend friedlich verlief, war es bei der Demo undogmatischer linker Gruppen in Mitte bereits nach wenigen hundert Metern zu ersten Auseinandersetzungen gekommen. Auslöser für den ersten Knüppeleinsatz der Polizei war in der Schwedter-/ Ecke Christinenstraße ein vermummter Punker, der sich außerhalb des Demozugs befand. Nachdem dieser von einem Greiftrupp festgenommen wurde, ließ es sich die Polizei nicht nehmen, in die Demonstrantenmenge zu knüppeln. Daraufhin flogen Steine und Flaschen.

Im Verlauf der Demonstration kam es immer wieder zu Knüppeleinsätzen. Auch gegen die Demonstranten, die das Leittransparent mit einem Spruch der amerikanischen Anarchistin Emma Goldmann – „Wenn ich hier nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution“ – trugen, ging die Polizei vor.

Zuvor bereits hatte Innensenator Jörg Schönbohm angekündigt, „bei den ersten Anzeichen von Gesetzlosigkeit sofort einzugreifen“.

Bereits gestern nachmittag um 14.30 Uhr rechtfertigte der Innensenator gegenüber der Presse den Einsatz der Polizei. Unter den Teilnehmern der revolutionären Mai-Demo, die vom Rosa-Luxemburg-Platz ausging, habe die Polizei „eine größere Zahl Gewaltbereiter erkannt“, sagte Schönbohm. Er nannte vor allem die Antifa. Aus der Tatsache, daß sich die Teilnehmerzahl eine Stunde nach Beginn verdoppelt hatte, schloß Schönbohm, daß dieser Teil der Demonstranten die Vorkontrollen der Polizei gezielt umgangen habe. Polizeibeamte seien aus dem Zug mit Flaschen beworfen worden.

Den Einsatz der Polizei am Vorabend des 1. Mai in Prenzlauer Berg wertete Schönbohm als Erfolg. Die „Verdachtskontrollen“ der Polizei rund um den Kollwitzplatz hätten verhindert, „daß sich Gewalt ausbreitete“. Die Polizei hätte Gruppen von über zehn Personen kontrolliert und insgesamt 200 Platzverweise ausgesprochen. Insgesamt sei es zu 59 Festnahmen wegen Steinwürfen, Sachbeschädigung oder Verstößen gegen das Versammlungsgesetz gekommen. Zwölf Personen sollten bis heute morgen in der Gefangenensammelstelle bleiben, damit von ihnen keine weitere Gewalt ausgehen könne, so Schönbohm. Außerdem seien am Görlitzer Bahnhof in Kreuzberg Molotowcocktails und Brandbeschleuniger gefunden worden. In diesem Zusammenhang sei ein aus Hamburg stammender und mit Haftbefehl gesuchter Mann festgenommen worden.

Auch während des Demonstrationszuges der IG Metall kam es Leipziger/ Ecke Breite Straße zu einem Zwischenfall, als die Polizei eine PKK-Fahne beschlagnahmte. Nach einem Augenzeugenbericht eilten ein kurdischer Arzt und der Aktivist Christian Specht zum Ort des Geschehens. Sie wurden nach einem Gerangel von zwei Zivilpolizisten gefesselt und auf dem Rücksitz eines Opels abtransportiert.

In einer ersten Stellungnahme erklärte der Sprecher der bündnisgrünen Fraktion, Matthias Tang, von einem deeskalierenden Verhalten der Polizei könne keine Rede sein. Die innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion, Marion Seelig, erklärte, der Einsatz von 5.000 Beamten gleiche einem „Belagerungszustand“.

Offenbar als eine Art Einstimmung zum „revolutionären 1. Mai“ wurden in der Nacht zum Mittwoch zahlreiche Autos abgefackelt. Dabei sind nach Polizeiangaben 19 Fahrzeuge „der gehobenen Mittel- und Oberklasse“ beschädigt worden. Der Staatsschutz habe in drei Fällen die Ermittlungen aufgenommen. taz