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Der V-Mann „Alba“ kassierte gleich zweimal

Bei einem Sprengstoffanschlag auf die Berliner Diskothek La Belle sind 1986 drei Menschen ums Leben gekommen. Für die Berliner Staatsanwälte ist klar: Der Befehl kam direkt vom libyschen Geheimdienst. Die Anklage geht aber auch davon aus, daß die amerikanischen Geheimdienste vorher informiert waren  ■ Von Wolfgang Gast

Die Maschine der Middle- East-Airlines landete gegen 16 Uhr auf dem Flughafen Schönefeld in Berlin. Das war im vergangenen Jahr, am 23. Mai. Der Jet aus Beirut brachte einen, den die Berliner Staatsanwaltschaft seit Jahren suchte: den Palästinenser Jassir Schraidi. Der im Libanon geborene staatenlose Palästinenser soll, so glauben die Ankläger, einer der Haupttäter bei dem Sprengstoffanschlag auf die Diskothek „La Belle“ in Berlin am 5. April 1986 gewesen sein. Bei dem Attentat auf die vorwiegend von farbigen US-Soldaten besuchte Diskothek starben eine junge Frau und zwei GI, über 200 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Nach der Sommerpause wird der Prozeß eröffnet

Es war einer der schwersten Anschläge, die je gegen amerikanische Staatsangehörige in Deutschland begangen wurden. Nur steckten dieses Mal keine Militanten aus der Bundesrepublik hinter dem Attentat. Der Berliner Generalstaatsanwalt Dieter Neumann ist überzeugt, daß die Tat „auf direkte Anweisung des libyschen Geheimdienstes in Tripolis erfolgt“ ist. Nach der Sommerpause, so ist der gegenwärtige Stand, soll vor der 39. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichtes der Prozeß gegen fünf Beschuldigte wegen des Anschlages eröffnet werden. Nach dem eben zu Ende gegangenen Verfahren um die Morde an vier irakischen Oppositionspolitikern in dem Berliner Restaurant Mykonos wird der La-Belle-Prozeß das zweite Verfahren, in dem ein Gericht den staatsterroristischen Hintergrund eines Attentates in der Bundesrepublik ausleuchten muß. Und nicht nur das: Das Gericht wird auch die Rolle der westlichen Geheimdienste bei den Anschlagsvorbereitungen aufklären müssen.

Unmittelbar nach dem Bombenanschlag machte die Regierung in Washington Libyen für die mörderische Explosion verantwortlich. Zehn Tage nach dem Attentat in Berlin ließ der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Ronald Reagan, Teile seiner in Großbritannien und auf Flugzeugträgern im Mittelmeer stationierten Luftstreitmacht antreten. Der Befehl lautete, gegen den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi einen massiven Vergeltungsschlag zu führen.

In den frühen Morgenstunden des 15. April 1986 stiegen 33 Kampfflugzeuge auf – neben der Hauptstadt Tripolis wurde auch die Hafenstadt Bengasi bombardiert. Der Angriff dauerte 15 Minuten, dann lagen Flughäfen, Kasernen, aber auch zivile Gebäude in Schutt und Asche. Auch eine Adoptivtochter des Revolutionsführers kam bei der Attacke ums Leben.

Daß Libyen für den Anschlag auf die Diskothek im Berliner Stadtbezirk Schöneberg tatsächlich verantwortlich zeichnete, war lange Jahre höchst umstritten. Der einzige Hinweis, den Reagans Mitarbeiter der Öffentlichkeit unmittelbar nach dem Anschlag präsentierten, waren vom US-Geheimdienst NSA (National Security Agency) aufgefangene Funksprüche, in denen dem libyschen Volksbüro in Ost-Berlin zur erfolgreichen Durchführung des Attentates gratuliert worden sein soll – in „naiver Verschlüsselung“, wie die Geheimdienstexperten behaupteten. Die Beweise für die libysche Urheberschaft, erklärte Reagan in einer Fernsehansprache, seien „präzise“ und „unwiderlegbar“. Überzeugende Belege dafür blieb der Präsident aber schuldig. Das sahen auch die Ermittler in Berlin so. Über Jahre favorisierten sie die These, Syrien könne als Auftraggeber hinter dem Anschlag stehen, schlüssige Indizien dafür fanden sie aber nicht.

Die Stasi war über den Anschlag informiert

Erst die Öffnung der Stasiarchive nach dem Fall der Mauer brachte neue Ermittlungsansätze. Den Aufzeichnungen des ostdeutschen Geheimdienstes zufolge ist das Attentat von Mitarbeitern des libyschen Volksbüros geplant und koordiniert worden, und es wurde unter den Augen der Staatssicherheit durchgeführt. Bis unmittelbar vor der Tat war die SED-Parteispitze durch ihren Geheimdienst über die geplanten Aktionen des libyschen Volksbüros informiert – verhindert hat sie sie nicht.

Die Berliner Ankläger halten Jassir Schraidi, 1959 im palästinensischen Flüchtlingslager in Ain al- Helweh in der Nähe von Beirut geboren, für einen der Haupttäter. Auf Ersuchen der palästinensischen Gruppierung PFLP-GC um den früheren syrischen Offizier Ahmad Dschibril soll Schraidi einen libyschen Paß und eine Anstellung beim Ostberliner Volksbüro erhalten haben. Dritten gegenüber habe sich Schraidi als angestellter Journalist der libyschen Vertretung ausgegeben. Der Staatsanwaltschaft zufolge soll er aber tatsächlich „der Geheimdienstresidentur zwecks Vorbereitung und Durchführung von Terroraktionen zugeordnet“ gewesen sein.

Die mörderische Bombe soll von Verena Schanaa (38), die im Oktober festgenommen wurde, in der Diskothek gegen 1.30 Uhr abgelegt worden sein. Auch ihr früherer Ehemann Ali Schanaa (38) wird des Mordes verdächtigt. Als Helfer mitbeschuldigt sind die Deutsche Andrea Häußler (32) und der ehemalige libysche Geheimdienstmann Musbah Eter (40). Erst das Geständnis Eters, sagt die Staatsanwaltschaft, hat die vollständige Aufklärung des Attentats ermöglicht.

Während heute feststeht, daß der Anschlag unter den Augen der Stasi geplant wurde und die DDR- Behörden nicht einschritten, ist die Rolle der westlichen Geheimdienste weitgehend ungeklärt geblieben. Bereits im Juli 1990 fand der Spiegel in einem Stasidossier den Hinweis, wonach der amerikanische CIA durch einen Doppelagenten über die Anschlagsvorbereitungen informiert gewesen sein könnte – durch den inoffiziellen Mitarbeiter „Alba“, den jetzt angeklagten Ali Schanaa. „Alba“ gilt als V-Mann des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Damit ließe sich erklären, daß die von Präsident Reagan hartnäckig behauptete Libyen-Connection beim La- Belle-Attentat keineswegs so aus der Luft gegriffen war, wie es vielen Beobachtern anfangs erschien.

Staatsterrorismus ist schwer zu beweisen

Die Staatssicherheit hatte schon vor dem Anschlag den Verdacht, daß „Alba“ auch auf einer anderen als der eigenen Gehaltsliste stehen könnte. Als die Gruppe um Schraidi Ende März 1986 einen ersten Anlauf für einen Anschlag auf eine Diskothek machte, stieß sie zu ihrer Überraschung auf eine auffällig hohe Polizeipräsenz im Umfeld des Tanzlokals. Das Vorhaben wurde deshalb verschoben. Die Stasi vermutete den Akten zufolge, die Informationen könnten von „Alba“ „abgeflossen“ sein.

Auch die Berliner Staatsanwälte gehen heute davon aus, daß die Vorbereitungen für einen Anschlag in West-Berlin nicht nur dem MfS bekannt waren. Den Nachrichtendiensten der Vereinigten Staaten sollen, so heißt es in der Anklageschrift, bereits am 25. März „zuverlässige Informationen“ über eine Anweisung der libyschen Regierung an das Ostberliner Volksbüro vorgelegen haben, terroristische Anschläge gegen US-Bürger zu begehen. Zwei Tage später, am 27. März, sei deshalb der DDR-Botschafter in Washington, Münch, in das Außenministerium einbestellt worden. Am selben Tag erschien auch der amerikanische Botschafter in der DDR, Meehan, im DDR-Außenministerium. Auch er behauptete, „Hinweise auf feindselige Aktivitäten gegen die USA durch das libysche Volksbüro“ in Ost-Berlin zu haben.

„Alba“, das ist auch der entscheidende Zeuge, der den heute in Berlin-Moabit einsitzenden Schraidi belastet – ein ziemlich schwieriger Zeuge allerdings. Sowohl gegenüber der Staatssicherheit als auch später gegenüber den Berliner Ermittlern spielte er seinen eigenen Tatbeitrag und den seiner damaligen Ehefrau herunter. So schob er den Transport der Bombe in die Diskothek Daher F., einem Elektroschweißer aus dem Libanon, in die Schuhe. Dieser habe selbst zugegeben, den Anschlag ausgeführt zu haben, berichtete „Alba“ dem MfS. Tatsächlich steht aber heute Verena Schanaa in dringendem Verdacht, den Sprengsatz in der Nähe der Tanzfläche deponiert zu haben.

Auf die Angaben der Stasi gestützt, ermittelte die Berliner Justiz gegen den beschuldigten Daher F. Dieser wanderte in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Bombenleger wurde dann nach dessen Haftbeschwerde aufgehoben. Das Land- und das Kammergericht in Berlin konstatierten massive Zweifel an den Angaben Schanaas.

Auch im Beiruter Auslieferungsverfahren gegen Jassir Schraidi stützt sich der Vorwurf seiner Beteiligung an dem Attentat in erster Linie auf die Angaben des IM „Alba“. Daß in Berlin die Gerichte den Zeugen für unglaubwürdig halten, wird den libanesischen Behörden nicht mitgeteilt.

Ein weiteres Standbein der Berliner Ankläger droht einzuknicken. 1990, nach dem Zusammenbruch der DDR, klopfte der Stasi- Oberstleutnant Rainer Wiegand an die Türen des Bundesnachrichtendienstes in Pullach bei München. Wiegand, Leiter der Arbeitsgruppe Ausländer bei der Spionageabwehr, lieferte umfangreiches Material über die in Ost-Berlin lebenden Ausländer, auch über die Personen, die die Stasi des Terrorismus verdächtigte. Als Zeuge kommt Wiegand heute aber nicht mehr in Frage. Er starb am 18. Juli letzten Jahres bei einem Verkehrsunfall in Portugal. Und seine zu Protokoll gegebenen Aussagen stützen sich überwiegend auf die Angaben des von ihm im Jahre 1988 befragten Ali Schanaa.

Schanaas Aussagen sind heute weitgehend widerlegt, durch die Aussagen des geständigen Musbah Abdulgassem Eter. Eter, der in der Bonner Vertretung Libyens für „die Abklärung libyscher Dissidenten“ zuständig gewesen sein soll, kam 1986 zum Ostberliner Volksbüro. Doch auch Eter ist ein schwieriger Zeuge. Er hat unter bisher nicht näher bekannten Umständen beim deutschen Botschafter auf Malta umfassend ausgesagt. Auch Eter wird eine geheimdienstliche Vita nachgesagt, deren Anfänge im dunkeln liegen.

Die Berliner Staatsanwälte vermerken, daß sich Eter am 30. Dezember 1987, eineinhalb Jahre nach dem Anschlag, in die Botschaft der Vereinigten Staaten in Ost-Berlin begeben hat. Er berichtete dort über seine anstehende Rückreise nach Libyen, die er vermeiden wollte. Eter habe erfolglos um Unterstützung gebeten – bis Mitte März 1989 sei es dann bei dessen Berlin-Aufenthalten zu „gelegentlichen Kontakten“ mit den US-amerikanischen Nachrichtendiensten gekommen. Die amerikanischen Behörden hätten dann allerdings den Kontakt zu Eter abgebrochen, er sei nicht bereit gewesen, verwertbare Informationen zu übermitteln.

Als Motiv für Eters Geständnis gibt die Berliner Staatsanwaltschaft dessen Wunsch an, „offensichtlich, unter Inkaufnahme eigener Bestrafung und Gefährdung, den familiären Lebensmittelpunkt in Berlin zu begründen“. Das Motiv ist schlüssig: Sollten Eters US- Kontakte seinem früheren Geheimdienst bekannt sein, hätte der Mann in der Tat um sein Leben zu fürchten.

Anders als im Mykonos-Prozeß dürfte sich das Gericht schwertun, den staatsterroristischen Hintergrund des La-Belle-Anschlages auszuleuchten. Zu sehr sind die Geheimdienste aus Ost und West in die Vorbereitungshandlungen verstrickt gewesen. Im Gegensatz zum Mord an den irakischen Oppositionspolitikern weist eine Spur unbequem deutlich in Richtung Westen. Wenn, wie die Staatsanwaltschaft selbst behauptet, den Geheimdiensten der Vereinigten Staaten zuverlässige Informationen über die Anschlagsvorbereitungen vorlagen, dann muß sie auch der Frage nachgehen, ob diese nicht das Attentat geschehen ließen – als Vorwand für die Bombardierung von Tripolis.

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