■ Fünf Stunden lang stritten die Abgeordneten quer zu allen Parteigrenzen um das neue Organtransplantationsgesetz: Die einen wollen das Leben Schwerkranker retten, die anderen sehen die Menschenwürde bedroht, den Sterbeprozeß gestört.
: Der B

Fünf Stunden lang stritten die Abgeordneten quer zu allen Parteigrenzen um das neue Organtransplantationsgesetz: Die einen wollen das Leben Schwerkranker retten, die anderen sehen die Menschenwürde bedroht, den Sterbeprozeß gestört.

Der Bundestag ringt um Leben und Tod

Wir haben mit dem Transplantationsgesetz eine ethisch-moralische Gratwanderung zu vollziehen.“ Dieser Satz von Rudolf Dreßler (SPD) gehörte zu den wenigen bei der gestrigen Debatte im Bundestag, denen ausnahmslos alle Abgeordneten zustimmen konnten. Im Streit über das kontroverse Thema ging es um weit mehr als unterschiedliche Ansichten zum Gesetzestext. Zur Diskussion stand nicht weniger als das Welt- und Menschenbild der Abgeordneten.

Was ist Leben? Was ist Tod? Ist der Hirntod mit dem endgültigen Tod gleichzusetzen? Wer darf über den Körper eines Toten oder Sterbenden verfügen?

„Wir müssen das ganzheitliche Menschenbild bewahren“, forderte Monika Knoche von den Bündnisgrünen. Die Abgeordnete wehrte sich gegen die Festlegung eines „pragmatischen“ Todeszeitpunkts: „Hirntote sind Sterbende. Sie haben Anspruch auf Schutz und Solidarität bis zuletzt.“ So sah es auch der Arzt Wolfgang Wodarg von der SPD. Es verunsichere, wenn die Mediziner Patienten mit noch schlagendem Herzen den gleichen Totenschein ausstellten wie einem Leichnam.

80 Prozent sind eigentlich zur Organspende bereit

„Die Menschen sind vorsichtig. Sie fürchten, daß im Krankenhaus nicht ihre Gesundheit im Vordergrund stehen könnte, sondern die immer länger werdende Schlange derjenigen, die auf eine Organspende warten“, warnte Wodarg. „Mißtrauen und Unsicherheit“ seien die Ursache für den Organmangel. Er wies darauf hin, daß nur sieben Prozent der Bevölkerung einen Organspenderausweis haben, obwohl Umfragen zufolge achtzig Prozent zu einer Spende bereit seien. Das Mißtrauen könne nur abgebaut werden, wenn der Hirntod nicht mit dem Tod gleichgesetzt werde. Angehörige könnten warme, durchblutete Körper nicht als Tote erkennen.

Wodarg hat seine Überzeugung aus beruflicher Erfahrung gewonnen. Arzt ist aber auch Wodargs Parteifreund Hansjörg Schäfer. Der ist zu ganz anderen Ansichten gekommen: „Der Hirntod beendet die Einheit von Geist und Körper, die erst den Menschen ausmacht.“ Schäfer erscheint der Hirntod als zulässiges Kriterium für die Bestimmung des Todes. Otto Schily (SPD) brachte die Problematik auf den Punkt: „Es liegt noch viel Arbeit des Verstehens vor uns, was bei Geburt und Tod stattfindet.“

Der Streit ging über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg. Den Abgeordneten war freigestellt, wie sie über das Gesetz und die verschiedenen Anträge abstimmen wollten. So blieb der Ausgang (siehe Seite 1) bis zuletzt offen.

Die unüberbrückbar erscheinenden Gegensätze ließen fast in den Hintergrund treten, daß sich die Parlamentarier in einigen zentralen Fragen durchaus einig sind: Nach fast zwanzigjährigem Ringen ist die gesetzliche Regelung der Transplantationsmedizin überfällig. Bislang finden Organverpflanzungen in der rechtlichen Grauzone statt. Übereinstimmung besteht auch darin, daß der Hirntod als Kriterium für eine Organentnahme bestimmend sein soll. Einig sind sich die Abgeordneten außerdem, daß eine höhere Zahl verfügbarer Organe angesichts langer Wartelisten wünschenswert wäre. Niemand wollte grundsätzlich die Transplantation in Frage stellen.

Damit jedoch enden die Gemeinsamkeiten. Er könne nicht verstehen, warum es so schwer sei, eine Praxis Gesetz werden zu lassen, die seit 25 Jahre bestehe, meinte Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU). Sie habe fast nie zu juristischen Streits geführt und stehe offenkundig im Konsens mit der Gesellschaft.

Doch die Meinungsverschiedenheiten offenbaren sich im Detail. In hohem Maße spielen dabei persönliche Erfahrungen eine Rolle.

CDU-Generalsekretär Peter Hintze berichtete von einem Gespräch mit einer Frau aus Wuppertal, deren Mann Selbstmord begangen hatte. Sie habe einer Organentnahme zugestimmt und finde noch heute den größten Trost darin, zu wissen, daß mit diesem Organ ein anderer Mensch weiterlebe. Es sei die Aufgabe der Gesetzgebung, so Hintze, „diese Hilfsbereitschaft zu fördern“. Mit dieser Begründung plädierte er für die „erweiterte Zustimmungslösung“. Sie sieht vor, daß nicht allein der Spender, sondern auch die Angehörigen einer Organentnahme zustimmen dürfen.

Ähnlich argumentierte Forschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU). „Unser Leben ist immer auch ein Leben in Beziehungen.“ Der letzte Wille sei im Herzen der Angehörigen aufgehoben. Daher sei es zumutbar, daß die Entscheidung über eine Organentnahme „treuhänderisch“ von ihnen übernommen werde.

Den letzten Willen treuhänderisch verwalten

Rudolf Dreßler wies darauf hin, daß im letzten Jahr insgesamt 3.228 Organe transplantiert wurden – aber nur in 34 Fällen die persönliche Zustimmung des Spenders vorlag. Eine enge Zustimmungslösung, der zufolge nur der Spender selbst über seine Organe verfüge, würde den Mangel an Organen dramatisch vergrößern.

Justizminister Schmidt-Jortzig (FDP), Wodarg und Knoche setzten sich dagegen eindringlich dafür ein, daß für eine Organentnahme die Zustimmung des Spenders selbst vorliegen müsse. Auf die „höchstpersönliche Zustimmung“ könne nicht verzichtet werden, sagte Knoche: „Bauen wir das Transplantationsgesetz auf den unveräußerlichen Selbstbestimmungsrechten der Menschen auf.“

Deutlich wurde auch, daß die beängstigend wachsenden Möglichkeiten der Medizin vielen Abgeordneten Sorgen machen. Herta Däubler-Gmelin sprach von der Angst vieler Menschen, daß der Todesbegriff in einigen Jahren weiter angepaßt werde – bis zum Teilhirntod. Solch eine Diskussion gebe es bereits in anderen Ländern: „Es gibt die Sorge, wenn man abgeht vom Tod als Absolutem, daß dann kein Halten mehr ist.“ Bettina Gaus, Bonn