piwik no script img

Schröder redet am Gesetz vorbei

■ Die Forderung des SPD-Politikers, straffällige Ausländer sofort abzuschieben, hat mit Kriminalpolitik wenig zu tun

Freiburg (taz) – „Wer das Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell.“ So lautete einer der Kernsätze des Law-and-order-Interviews von Gerhard Schröder am Wochenende. Zuvor hatte der niedersächsische Ministerpräsident postuliert: „Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern.“

Auf Unterschiede zwischen Menschen, die schon lange in Deutschland leben, und solchen, die nur zur Begehung von Straftaten einreisen, ging Schröder nicht ein. Nicht einmal zwischen leichten und schweren Straftaten wollte er unterscheiden. Damit entfernte sich der gelernte Rechtsanwalt meilenweit vom geltenden Recht. Denn für Menschen mit fester Aufenthaltsberechtigung, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, gilt noch ein besonderer Abschiebeschutz. Nur bei besonders schweren Delikten kommt hier eine zwangsweise Rückkehr in das meist fremde „Heimatland“ in Betracht.

Daß dieser Abschiebeschutz für integrierte Ausländer bei Bedarf schnell geopfert wird, wissen gerade die in Deutschland lebenden Kurden. Als sich in den letzten Jahren gewalttätige Aktionen gegen türkische Einrichtungen sowie Blockaden auf deutschen Autobahnen häuften, wurde schnell das Gesetz verschärft. Auch Ausländer mit fester Aufenthaltsberechtigung müssen nun „in der Regel“ mit Abschiebung rechnen, wenn sie wegen „schweren Landfriedensbruchs“ zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Unter Umständen ist sogar die Abschiebung ohne Strafurteil, durch bloße Verwaltungsentscheidung, möglich. Der deutsch-türkische Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) sprach empört von einer „Umkehr der Unschuldsvermutung“.

Wie sieht es aber mit den sogenannten reisenden Kriminellen aus, für die Deutschland mehr „Arbeitsplatz“ als „Lebensmittelpunkt“ ist? Bisher erhalten auch sie ein Gerichtsverfahren und müssen, so sie verurteilt werden, ihre Strafe in Deutschland absitzen. Jedoch wird meist nach der Hälfte der verbüßten Haftzeit geprüft, ob der Straftäter in sein Heimatland abgeschoben werden kann. Wenn ja, dann soll die Drohung mit der Reststrafe den Missetäter von einer Rückkehr nach Deutschland abschrecken. Möglich ist eine solche Abschiebung aber nur, wenn die nötigen Papiere vorliegen, der Heimatstaat sich aufnahmebereit zeigt und dem Betroffenen dort keine Menschenrechtsverletzungen drohen. Gerade bei militanten Kurden ist die Abschiebung in die Türkei deshalb oft nicht zulässig.

Für Täter, die abgeschoben werden können, wäre Schröders Forderung nach sofortiger Rückführung vielleicht sogar eine Erleichterung. Denn die Haft in Deutschland ist für Ausländer nicht angenehm. Von Resozialisierungsmaßnahmen sind sie ausgeschlossen, weil sie ja nach der Entlassung nicht im Land bleiben können. Vollzugslockerung wird wegen Fluchtgefahr in der Regel nicht gewährt.

Zu berücksichtigen ist allerdings die zunehmende Überbelegung der deutschen Haftanstalten seit Ende der 80er Jahre, verursacht vor allem durch straffällig gewordene Osteuropäer. So stieg der Anteil ausländischer Häftlinge in baden-württembergischer Strafhaft von rund 15 Prozent im Jahr 1990 auf 32,6 Prozent in diesem Frühjahr. In der Untersuchungshaft lag der Anteil wegen möglicher Fluchtgefahr sogar bei 56,8 Prozent.

In dieser Situation wird auch in Baden-Württemberg über Möglichkeiten einer schnelleren Abschiebung diskutiert. Hierbei handelt es sich aber eher um eine Maßnahme zur Haushaltskonsolidierung als um Durchsetzung einer besonders rigiden Kriminalpolitik. Christian Rath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen