: Justiz und Moral versus Fotos
Gegen die am Ort des Unfalls von Prinzessin Diana verhafteten Fotografen wird wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung ermittelt ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Einer nach dem anderen müssen seit gestern nachmittag sieben Fotografen einem Ermittlungsrichter in Paris erklären, was sie am Wrack des Mercedes 280-S taten, der in der Nacht zu Sonntag in dem Tunnel unter einer Seinebrücke verunglückte. Die – schweren – Vorwürfe der Staatsanwaltschaft könnten ihnen bis zu fünf Jahre Gefängnis und hohe Geldstrafen einbringen: fahrlässige Tötung, unterlassene Hilfeleistung und Körperverletzung.
Sechs der Verhafteten arbeiten für große Pariser Agenturen. Einer von ihnen, der Sygma-Fotograf Jacques Langevin, machte sich mit Bildern vom Massaker auf dem Pekinger Tiananmen-Platz einen Namen. Der Sygma-Chef bezeichnete Langevins Verhaftung gestern als skandalös, der Mann sei zufällig am Unfallort vorbeigekommen und habe als „guter Profi“ Aufnahmen gemacht.
Die Pariser Polizei sieht den Sachverhalt anders: Sie spricht davon, daß die Paparazzi sogar noch die Bergungsarbeiten behindert hätten. Zugleich will sie nicht ausschließen, daß die echten „Verfolger“ des Mercedes 280-S beim Eintreffen der Polizei längst geflohen waren. Während die Paparazzi verhört wurden, erreichte die Debatte über ihre Berufsethik gestern neue Hysteriehöhen. Von der Sprecherin der französischen Regierung, Catherine Trautmann, über Fotografen bis hin zu ihrerseits verfolgten Stars machten alle möglichen Leute die „People-Fotografen“ für den Tod Lady Dianas, ihres Freundes Dodi Fayed und ihres Fahrers Henri Paul mitverantwortlich. Sie verlangten sowohl nach „härteren Gesetzen“ als auch nach einem neuen „Ehrenkodex“ für den Beruf.
Der beim Fahrer gemessene Blutalkoholgehalt von 1,75 Promille und die mutmaßliche Fahrgeschwindigkeit von zwischen 180 und 195 Stundenkilometern spielte in der Debatte lediglich eine untergeordnete Rolle.
Der – rechtskräftig verurteilte – korrupteste aller französischen TV-Journalisten, der Nachrichtensprecher des Privatsenders TF 1, Patrick Poivre d'Avor, behauptete im Figaro, er sei „angeekelt“ von den Paparazzi, die Fotos der sterbenden Prinzessin gemacht hätten und rief nach mehr Moral im Journalistenberuf. Der Philosoph Alain Finkelkraut schrieb in Le Monde über den Tod der meistfotografierten Frau der Welt: „Das ist kein Unfall, sondern eine Konsequenz.“
Nur eine Handvoll Fotografen auf dem zufällig gerade stattfindenden Fotografenfestival von Perpignan und der Chef der Organisation „Reporters sans Frontières“ brachten den Mut auf, vor voreiligen Schuldzuweisungen zu warnen.
Aus der Reihe scherte auch die Schauspielerin Catherine Deneuve, die selbst zahlreiche Prozesse gegen Paparazzi geführt und meist auch gewonnen hat. Sie erklärte in einem Interview mit Libération, daß die Paparazzi bloß die Jagdhunde einer Branche seien, an deren Spitze die Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften ständen. Außerdem meinte Deneuve, die es geschafft hat, ihr Privatleben vor den Fotografen zu verteidigen, daß Lady Diana stets zweideutige Signale an die Fotografen gesandt habe – mal habe sie „ich will“, dann wieder „ich will nicht“ gesagt.
Die People-Presse, die in enger Zusammenarbeit mit den Paparazzi Lady Diana zu Lebzeiten zum Mythos gemacht hatte, und die jetzt für deren Tod verantwortlich gemacht wird, profitiert jetzt weltweit vom Ableben der Prinzessin. Nach den Rekordauflagen, die die britischen Boulevardblätter am Sonntag erreichten, zogen auch die französischen Illustrierten der Regenbogenpresse nach. In dieser Woche haben sie ausnahmsweise ihr Erscheinen vorgezogen und ihre gedruckte Auflage wohlweislich um bis zu fünfzig Prozent erhöht. Sie liefern ihren Lesern nun jeweils seitenlange Dokumentationen über das ungewöhnliche Leben der Verstorbenen. Und die Bilder dazu stammen – woher sonst – zu einem großen Teil aus den Kameras der Paparazzi.
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