: Juristen appellieren an Scherf
■ Siebzig Richter und Anwälte gegen den Lauschangriff
Siebzig Bremer Juristinnen und Juristen, darunter bekannte HochschullehrerInnen, RichterInnen und Anwälte, haben in einem Offenen Brief an Bürgermeister Henning Scherf appelliert, im Bundesrat eine „konsequente Haltung“gegen den großen Lauschangriff einzunehmen und dadurch „ein wesentliches Stück Rechtsstaatlichkeit“zu erhalten – wenn es denn auf die drei bremischen Stimmen im Bundesrat ankommt.
Für die „demokratischen Juristinnen und Juristen“, wie sie sich selbst bezeichnen, ist der Kreis der Betroffenen von möglichen Abhörmaßnahmen nach dem Gesetzesentwurf, auf den sich CDU, FDP und SPD in Bonn geeinigt haben, zu groß: „Jede und jeder, der oder die sich in einer Wohnung oder einem Betrieb aufhält, wo die Polizei Beschuldigte vermutet, darf abgehört werden.“Nicht einmal in seelsorgerischen, ärztlichen oder therapeutischen Gesprächen könne man sicher sein, „nicht belauscht zu werden“. Die geplante Änderung des Grundgesetzes Art. 13, zu der die Bremer Stimmen benötigt werden, betreffe damit auch das Recht auf Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes, damit sei auch die Pressefreiheit bedroht.
Die Unterzeichner bezweifeln gleichzeitig, daß die „organisierte Kriminalität“sich „mit Hilfe des großen Lauschangriffs wirksam bekämpfen“läßt. „Der voraussichtlich sehr begrenzte Erfolg des großen Lauschangriffs steht in keinem Verhältnis zu der Beeinträchtigung der Privatsphäre zahlreicher Bürgerinnen und Bürger, die nicht in schwerkriminellen Banden organisiert sind.“
Die SPD habe zwar durchgesetzt, daß Wohnungen nur nach Richterbeschluß abgehört werden könnten. Aber „bei Gefahr im Verzuge“gehe es eben auch ohne. Zudem dürften auch Erkenntnisse aus Gesprächen mit Personen, die Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen könnten, verwertet werden. Der präventive Lauschangriff solle zudem nicht nur bei Gefahr für Leib und Leben, sondern auch bei „dringender Gefahr für die Öffentliche Sicherheit“eingesetzt werden, ein in der Praxis sehr dehnungsfähiger Begriff.
„Mit Respekt und Anerkennung haben wir zur Kenntnis genommen“, endet der Aufruf, „daß der Bürgermeister sich öffentlich gegen die geplante Grundgesetzänderung ausgesprochen hat.“Die Unterzeichner der Erklärung fordern Scherf auf, standhaft bei seiner öffentlich formulierten Ablehnung des großen Lauschangriffs zu bleiben. K.W. Kontakt: D. Schiek, Tel. 218-7249
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