: Quedlinburg – Stadt der starken Frauen
Vergessene Frauengeschichte: Vor tausend Jahren regierten dort zwei Kaiserinnen und eine Reichsverweserin ■ Von Ute Scheub
Mittelalterliches Quedlinburg: 1.200 denkmalgeschützte Fachwerkhäuschen drängen sich rund um Schloßberg und Stiftskirche. Wer sich unten in der Stadt bewegt, durch enge Gassen und über holperige Plätze, zwischen malerisch schiefen Hütten und gefährlich verfallenen Häusern, muß den Hals recken, um den Herrensitz auf dem Berg zu sehen. Wer oben im „Blauen Saal“ des Schloßmuseums steht, läßt einen Blick schweifen über die geduckten Dächer der Untertanen. Herrensitz? Wohl an keinem anderen Ort des heutigen Deutschland gab es so viel geballte Frauenmacht wie im Schloß und, gleich nebenan, im Frauenstift von Quedlinburg.
Und nirgendwo ist sie so systematisch vergessen worden: Der Westen hat das sachsen-anhaltinische 26.000-Seelen-Städtchen, das verfallende, verschmuddelte Gegenstück zum geleckten Rothenburg ob der Tauber, immer noch nicht wiederentdeckt. Und der Arbeiter-und-Bauernstaat im Osten wollte von der Historie adliger Frauen nichts wissen. Quedlinburgs Oberbürgermeister Rudolf Röhricht, einst SED, jetzt Bürgerforum, gibt offen zu, er habe von der Geschichte der Reichsverweserin Mathilde noch nie etwas gehört.
Das war am „Mathildenfest“, gefeiert am 14. November zu Ehren von Äbtissin Mathilde, Vorsteherin des „Freyweltlich gefürsteten Damenstiftes“, Enkelin des ersten deutschen Kaisers Heinrich der Vogler, Reichsverweserin des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. In dieses höchste aller Ämter wurde sie vor ziemlich genau tausend Jahren eingesetzt, im November 997, als ihr Neffe, der Kaiser Otto III., nach Italien aufbrach.
Im überaus prächtig gestalteten Rathaussaal, in dem der Bürgermeister seine historische Ignoranz so unverhüllt bekannte, hätte er nur den Blick heben müssen: Auf einem der sechs Wandgemälde kniet die erst elfjährige Mathilde im weißen Schleiergewand demutsvoll nieder, um in Anwesenheit des gesamten europäischen Hochadels zur Äbtissin geweiht zu werden. „Sie zählt zu den bedeutendsten Frauen der deutschen Geschichte“, so die Historikerin Gerlinde Schlencker von der Martin-Luther-Universität Halle in ihrem Festvortrag. „Weder davor noch danach bekam eine Frau den hohen Titel der Reichsverweserin verliehen.“
Ein tausendjähriges Jubiläum – das hätte der Stadt und ihrem begnadeten Bürgermeister doch ein Anlaß zum Jubeln sein müssen. Zumal der Tourismus, die Neugierde der Fremden auf Kaiser, Kirchen und Katen, mittelfristig die einzige Chance für Quedlinburg ist, seine Erwerbslosenquote von über 20 Prozent zu reduzieren. Doch die Jubiläumsfeier hätte es nie gegeben ohne das „Stadtforum“ engagierter BürgerInnen. „Sachsen-Anhalt war voll von starken Frauen“, schwärmte die bündnisgrüne Staatssekretärin für Fraunepolitik, Elke Plöger. Sie ist auch die engagierte Schirmfrau des diesjährigen Mathildenfests.
Beim Mathildenfest im „Blauen Saal“ des Schlosses marschierten sie in historischen Gewändern denn auch alle auf: Kaiserin Adelheid, Ehegattin des Sachsenkaisers Otto I. und seine gesetzliche Mitregentin, Mutter von Mathilde und Otto II. Danach Theophanu, byzantinische Prinzessin, nach ihrer Heirat mit Otto II. ebenfalls Kaiserin, die das Reich nach dem Tode ihres Gemahls von 983 bis 991 acht Jahre lang allein regierte. Und als Dritte im Bunde Reichsverweserin Mathilde.
Diese weibliche Dreieinigkeit an der Spitze eines Riesenreiches scheint sich jedoch so einig nicht immer gewesen zu sein: Theophanu lag sich des öfteren mit ihrer Beraterin Adelheid in den Haaren. Dennoch sorgten die drei Damen mit vereinten Kräften dafür, eine Kindesentführung historischen Ausmaßes wieder zum guten Ende zu führen: Otto III., der Sohn Theophanus, war mit drei Jahren in Aachen zum König gekrönt, dann aber von seinem Verwandten Heinrich dem Zänker gekipnappt worden.
Adelheid, Theophanu und Mathilde gelang es schließlich, ihn nach Quedlinburg zurück in Sicherheit zu bringen. „Nie wieder hatten Frauen in Deutschland eine solche Macht wie im 10. Jahrhundert“, erfuhr das Publikum im Schloßsaal beim Mathildenfest.
Noch bis 1803 unterstand die Stadt Quedlinburg stets einer Frau, der jeweiligen Vorsteherin des Stiftes, in dem adlige Damen auf ihre späteres Eheleben vorbereitet wurden. Aber ob diese geballte Frauenmacht eine angenehme war, ist eine andere Frage. Äbtissin Hedwig von Sachsen beispielsweise, im Rathaussaal als hoch zu Roß sitzende Herrscherin verewigt, im historischen Gewande durch den blauen Schloßsaal wandelnd, muß ein rechtes Scheusal gewesen sein. Weil die Bürger der Stadt nicht so wollten wie sie, bestellte sich die Tochter des Kurfürsten Friedrichs II. Truppen, die Quedlinburg im Jahre 1477 belagerten und stürmten. Der Quedlinburger Roland, Symbol der städtischen Selbständigkeit, wurde in Stücke geschlagen. Die Stadt mußte sich der Regentschaft Hedwigs bedingungslos unterwerfen und aus der Hanse austreten - die ökonomische Entwicklung ging fürderhin an Quedlinburg vorbei. Was seinen Bürgern ein Ärgernis war, ist heute den Touristen eine Freude: „Armut“, so heißt ein Spruch, „ist der beste Konservator.“
Den Reigen der Quedlinburger Frauengestalten im „Blauen Saal“ beschloß Dorothea Christiane Erxleben: Hausfrau, Mutter von neun Kindern und 1754 erste promovierte Ärztin in Deutschland. Nur eine Sondergenehmigung ermöglichte es dieser ungewöhnlichen Frau, zum Studium überhaupt zugelassen zu werden – erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurden dem weiblichen Geschlecht regulär die Tore der Alma mater geöffnet.
Sie sei „tief beeindruckt“ von diesen Frauengestalten, resümierte am Ende Staatssekretärin Elke Plöger. Selten sei so deutlich geworden, welch „tiefen Absturz“ Reformation und bürgerliche Revolution für die Frauen darstellte. Der Ehevertrag sei damals ein „Verzichtsvertrag“ gewesen: „Sie verschwanden aus Ämtern und Erwerbsleben.“ In Preußen sei ihnen 1794 die Prozeß- und Geschäftsfähigkeit abgesprochen worden, und diese Rechtstradition habe sich bis hinein in die Formulierungen des Bürgerlichen Gesetzbuches verlängert.
Auch in Quedlinburg ist von früherer Frauenmacht nicht viel geblieben. Nur die außergewöhnlich hohe Ansammlung weiblicher Namen im Straßenbild: „Adelheidstraße“ und „Theophanugasse“, „Mathildenbrunnen“ und „Dorothea-Erxleben-Straße“.
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