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Windräder als Kurschatten zu lästig

■ Windparks an der Nordseeküste sind zu laut: Niedersächsisches Wirtschaftsministerium schränkt die Kurgebiete ein / Vermieter verweigern jetzt die Kurtaxe / Wird Urlaub billiger?

Gebeutelte Urlauber sprechen von der Fortsetzung der Seeräuberei mit anderen Mitteln. Vom Schwimmbad bis zum Pissoir muß für die Benutzung aller Einrichtungen in den Seebädern der Nordseeküste eine Extrasteuer entrichtet werden: Die Kurtaxe. Sämtliche Küstenheilbäder füllen mit dieser Zwangsabgabe ihre kommunalen Kassen auf. Aber vielleicht nicht mehr lange: Nach einer neuen Verordnung des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums wird diese Steuer möglicherweise zu Unrecht erhoben. Schuld sind die vielen Windräder an der Küste. Damit erreicht der schwelende Konflikt zwischen Windkraft und Tourismus eine neue Stufe.

Mit einem Erlaß hat das Ministerium die Kurgebiete eingeschränkt. Maßgeblich für die Abmessung eines Kurgebietes sind jetzt nicht mehr die Grenzen eines Kurorts, sondern die „Konzentration des Kurwesens“. Wörtlich heißt es: „Dazu gehören neben den Kureinrichtungen im engeren Sinne (zum Beispiel Kliniken, Kurmittelhäuser, Thermalbäder) auch der Kurpark, der Strand oder sonstige den Kurgästen dienende Anlagen.“

Grund der Einschränkung: Laut Kurgebietsverordnung von 1974 darf ein Kurgebiet tagsüber nur mit 45 Dezibel und nachts mit 35 Dezibel Dauer-Lärm belastet sein. Durch die Ballung der Windparks an der Küste ist die dauernde Lärmbelastung aber vielerorts höher. Die Apparate stehen zu nah an Wohnsiedlungen. Anstatt nun generell, wie schon in einem Fall gerichtlich angeordnet, Windmühlen wieder abzureißen, hat das Wirtschaftsministerium einfach die Kurgebietsgrenzen umdefiniert und sie weiter von den Windkraftanlagen entfernt neu festgesetzt. Ob damit außerhalb der Kurgebiete auch keine Kurtaxe mehr bezahlt werden muß, darüber wird demnächst, in akribisch genauer Textauslegung der entsprechenden Verordnungen, ein Gericht zu entscheiden haben.

Der Direktor der Samtgemeinde Esens, Bernhard Thür, zuständig für die Heilbäder Bensersiel und Neuharlingersiel, kann der „Interpretation“, im Außenbereich der Kurorte keine Kurtaxe mehr zu zahlen, nicht folgen: „Für die Erhebung der Kurtaxe gilt weiter die Ortsgrenze des Kurortes.“Herma Heyken, Sprecherin der Bezirksregierung Weser-Ems: „Die Gebietsverkleinerung gilt nur, damit der Lärm der Windkraftanlagen den Kurbetrieb nicht stört. Die Kurtaxenabgabe ist davon nicht berührt.“Und wenn es Klagen gibt? „Dann müssen wir abwarten, was das Gericht sagt“, so Heyken.

„Bei uns laufen fast die Kurgäste weg“, schimpft Hermann Zeiger. Er und seine Frau Gertrud haben bundesweit Aufsehen erregt, weil sie gegen eine Windkraftanlage ihres Nachbarn geklagt hatten. „Die steht nur 169 Meter von unserem Haus entfernt. Sie lärmt und der Schattenwurf macht einen verrückt.“Nach fast vier Jahren Kampf gegen Nachbarn, Gemeinde, Landkreis und Bezirksregierung hat Familie Zeiger nun Recht bekommen. Die Windmühle muß abgerissen werden. Nachbar Baumann muß das Millionenobjekt auf eigene Kosten versetzen. Diesmal fast 600 Meter vom Zeigerhaus entfernt. Immer noch zu nah, sagt Zeiger und reichte vergangene Woche wieder Klage bei Gericht ein.

Den neuen Erlaß zur Verkleinerung der Kurgebiete bezieht Zeiger auf sich. Denn jetzt befindet sich sein Haus plötzlich außerhalb des Kurgebietes. Familie Zeiger, die bislang wie alle Vermieter gezwungen war, die Kurtaxe einzutreiben, wird dies nicht mehr tun. „Wenn unser Haus nicht mehr im Kurgebiet steht, kassieren wir auch keine Kurtaxe mehr“, sagt Herrmann Zeiger resolut. Jetzt wird man sich wohl vor Gericht wiedertreffen. Thomas Schumacher

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