: Bayern wollen wissen, was sie beißen
880.000 Unterschriften werden für das blauweiße Siegel „gentechnikfrei“ benötigt, damit im Herbst endlich ein Volksentscheid stattfinden kann. Wenn der positiv ausfällt, muß der Staat kontrollieren ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
„Wir wollen wissen, was wir essen.“ Unter diesem Motto geht das Volksbegehren zur Kennzeichnung gentechnikfreier Produkte in Bayern heute in die entscheidende Phase. Sprechen sich in den kommenden beiden Wochen zehn Prozent der Wahlberechtigten, also etwa 880.000 Bürger des Freistaats, für ein entsprechendes weißblaues Gütesiegel aus, dann steht einem Volksentscheid im Herbst nichts mehr im Wege.
Mit einfacher Mehrheit könnte dann Bayern als erstes Bundesland eine Kennzeichnung einführen, deren Kriterien weitaus strenger sind als der eilends zusammengeschusterte CSU-Gesetzentwurf oder die von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer Mitte April bei der EU eingereichte Verordnung. Mit Turbohefe gebrautes Bier hätte dann in Bayern keine Chance auf das Gütesiegel.
„Wir wollen keine freiwillige Kennzeichnung, sondern ein gesetzlich verankertes und vom Staat garantiertes Gütesiegel“, formuliert Hubert Weiger, Landesbeauftragter des Bundes für Naturschutz das Ziel des Volksbegehrens. Gegen den energischen Widerstand von CSU und Bauernverband war es einem Aktionsbündnis aus Umweltverbänden, kirchlichen Gruppen, Bündnis 90/Die Grünen und der SPD gelungen, die erste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid mit Bravour zu meistern. Statt der erforderlichen 25.000 Unterschreiber gaben im Dezember letzten Jahres 230.000 Menschen schriftlich ihre Unterstützung für ein Gütesiegel ab.
Nur Lebensmittel, die frei von gentechnisch veränderten Bestandteilen sind und ohne Anwendung gentechnischer Verfahren hergestellt werden, sollen nach den Vorstellungen der Initiatoren das kreisförmige Zeichen mit dem weißblauen Rautenmuster tragen. Die strengen Maßstäbe gelten auch für Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme. Die Hersteller der Produkte müssen das Gütesiegel von sich aus beantragen und die Kosten des strengen Prüfverfahrens tragen.
Angesichts der großen Zustimmung, die das Aktionsbündnis aus der Bevölkerung erfuhr, vollzog die CSU zum Jahreswechsel eine radikale Kehrtwendung. Hatte man zuvor ein Gütesiegel strikt abgelehnt, peitschte man nun im Landtag einen Gesetzentwurf durch, der eine freiwillige Kennzeichnung von gentechnikfreien Ernährungs- und Futtermitteln ohne Antrags- und Prüfverfahren vorsah.
Der Versuch, damit das Aktionsbündnis auszubremsen, schlug jedoch fehl. Als „Mogelpackung zur Täuschung des Verbrauchers“ lehnt Doris Trapper, Vertrauensfrau des Volksbegehrens, das CSU-Gesetz ab. Sie hält es für unzureichend, wenn sich die Produzenten das Qualitätssiegel selbst geben und es die notorisch überlastete Lebensmittelkontrolle bei stichprobenartiger Überprüfung beläßt.
Während das bundesdeutsche Gentechnikgesetz zum Beispiel Selbstklonierung von Hefe nicht als gentechnisches Verfahren definiert, will der Gesetzentwurf des Volksbegehrens Produkte vom Gütesiegel ausschließen, bei denen derartige Hefen verwendet werden. Die CSU allerdings pocht auf die bundesweit gültige Definition. Sie will mit diesen Hefen hergestellte Biere, Weine und Brote mit dem Siegel „gentechnikfrei“ kennzeichnen.
Ganz im Gegensatz zu dieser großzügigen Regelung verlangt die CSU jedoch paradoxerweise eine hundertprozentige „Gentechnikfreiheit“ der Produkte. Selbst Verunreinigungen durch den Pollenflug genmanipulierter Pflanzen aus benachbarten Feldern zögen dann den Ausschluß des Kennzeichens und Strafen bis zu 50.000 Mark für den Hersteller nach sich.
In diesem Punkt grenzt sich selbst Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer vom Gesetz seiner CSU-Parteifreunde ab. Seehofers „Verordnung über die Kennzeichnung ohne Anwendung gentechnischer Verfahren hergestellter Lebensmittel“, die laut Ministeriumssprecher Hartmut Schedel „frühestens im Juli im Bundesrat“ beraten werden kann, schließt bei einer „unbeabsichtigten“ Kontaminierung mit gentechnisch veränderten Substanzen eine Kennzeichnung des Produkts als gentechnikfrei nicht aus. Ansonsten aber orientiert sich die Verordnung wie das CSU-Gesetz an den Definitionen des Gentechnikgesetzes.
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