: Warnungen des MAD haben nichts genutzt
Der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes berichtet vor dem Untersuchungsausschuß über die in den letzten Jahren veränderte Einstellung der rechtsextremen Szene zum Wehrdienst und zur Bundeswehr ■ Aus Bonn Bettina Gaus
Der sprunghafte Anstieg von Vorfällen mit rechtsextremistischem Hintergrund bei der Bundeswehr müßte MAD-Präsident Rudolf von Hoegen eigentlich an seinem Beruf verzweifeln lassen. Seit Jahren hat der Militärische Abschirmdienst konkrete Erkenntnisse über verstärktes Interesse von Rechtsextremisten an den Streitkräften. Seit Jahren informiert das Amt in Köln darüber zuständige Stellen bei der Bundeswehr. Alle Warnungen haben jedoch offenbar nicht viel genutzt: „Ich kann zwar den Verfassungsschutzbericht zur Verfügung stellen. Ich kann aber niemanden zwingen, ihn zu lesen“, stellte Rudolf von Hoegen Mittwoch abend resigniert vor dem Bundeswehr- Untersuchungsausschuß fest.
Der MAD-Präsident war als sachverständiger Zeuge vor den Ausschuß geladen. Seinen Aussagen zufolge hat sich die Einstellung der rechtsextremistischen Szene zur Bundeswehr in den letzten Jahren grundsätzlich geändert. Noch Anfang der 90er Jahre hätten deren Anhänger mit der Bündnisarmee eines demokratischen Staates „eigentlich nichts im Sinn“ gehabt. Dann aber führte gewachsenes Selbstbewußtsein der Szene zu einem Sinneswandel. In Aufrufen rechter Organisationen, die auch im Internet stehen, werde zur Ableistung des Wehrdienstes aufgefordert: „Solange dieser Staat freiwillig nationale Menschen an den Waffen ausbildet, sollte das auch weidlich von ihnen genutzt werden“, zitierte von Hoegen.
Zwei Drittel rechtsextremistischer Gewalttäter sind seinen Angaben zufolge zwischen 16 und 20 Jahre alt: „Das sind junge Männer, die auf die Bundeswehr als Wehrpflichtige zukommen.“ Vor ihrem Eintritt in die Streitkräfte gebe es fast keine rechtliche Möglichkeit, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen: „Wir können keinen Filter vor die Bundeswehr setzen.“
Das Erlernen des „Waffenhandwerks“ mache das Militär für Rechtsextremisten besonders attraktiv. Sie wünschten „auf jeden Fall eine Ausbildung in den Kampftruppen“, also etwa bei den Fallschirmjägern, den Grenadieren oder Eliteeinheiten wie dem Kommando Spezialkräfte. Schon seit 1993 verteilt der MAD Merkblätter in der Bundeswehr, in denen auf die Bedeutung bestimmter Musikstücke, Abkürzungen, Symbole und Kleidungsstücke als Erkennungsmerkmale von Rechtsextremisten hingewiesen wird.
Ein organisiertes rechtsextremistisches Netz gibt es MAD-Erkenntnissen zufolge bei der Bundeswehr nicht. Zwar „riechen sich“ Anhänger der Szene, wenn sie sich in der gleichen Einheit begegnen, meinte von Hoegen. „Aber wir haben zu keiner Zeit feststellen können, daß sich Strukturen gebildet haben.“
Bestimmte Einheiten sind allerdings der Gefahr der Unterwanderung in besonders starkem Maße ausgesetzt. 1995 informierte der MAD den Inspekteur des Heeres, daß Fallschirmjäger im Brennpunkt des Interesses von Rechtsextremisten stünden. Aus deren Reihen wurden in jüngster Zeit denn auch gleich mehrere Vorfälle mit extremistischem Hintergrund bekannt. Widmen die Streitkräfte dem Problem nicht genug Aufmerksamkeit? Zu dieser Aussage „fühle ich mich eigentlich nicht legitimiert“, sagte Rudolf von Hoegen zögernd.
Indirekt hatten zwei andere sachverständige Zeugen diesen Vorwurf vor dem Ausschuß zuvor erhoben. Die Wissenschaftler Helmut Fröchling und Professor Wolfgang Gessenharter, Dozenten an der Bundeswehruniversität in Hamburg, beklagten einen erheblichen Mangel an empirischen Daten und Forschungsmaterial zum Thema Rechtsextremismus bei den Streitkräften. „Solche Dinge“ hätten bisher bei der Bundeswehr „nicht erforscht“ werden dürfen, so Helmut Fröchling.
Eigene Beobachtungen erfüllen die Wissenschaftler mit Sorge. Eine steigende Zahl von Soldaten begreife ihren Beruf rein militärisch-handwerklich und sei apolitisch, erklärte Gessenharter. Das könne gefährlich sein für die Demokratie. Ähnlich äußerte sich sein Kollege Fröchling: Die „elementare Wertbindung an die Verfassung“ werde „immer mehr als Floskel“ verstanden.
Professor Gessenharter berichtete, er bekäme im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Positionen gelegentlich Hinweise von Studenten. Diese bestünden aber entweder auf Anonymität, oder „ich kriege dann die typischen Rückzugsgefechte“. Als er deshalb kürzlich einem Studenten eine opportunistische Haltung vorgeworfen habe, habe er zur Antwort bekommen: „Wundert Sie das?“
Beunruhigt zeigten sich auch Abgeordnete der Regierungsparteien im Ausschuß. Die quälte allerdings ein anderes Problem. Die beiden Wissenschaftler haben am „Handbuch des Rechtsextremismus“ mitgearbeitet. In diesem Band seien auch „ausgewiesene Linksextremisten“ vertreten, erklärte Jürgen Augustinowitz (CDU). Ob die Dozenten vor diesem Hintergrund ihre Mitarbeit an dem Buch „für vereinbar mit Ihrer Pflicht zum treuen Dienen Deutschland gegenüber“ hielten? Tun sie.
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