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Kohl gibt sich unverdrossen

Noch sehr müde kam Kohl aus Brüssel zurück. Die heftigen Sitzungen um den Euro versuchte er schönzureden. Die Bundestagswahl aber will er ganz sicher gewinnen  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

„Ich habe nie gesagt, daß das Euro-Thema das Wahlkampfthema ist“, erklärte in Bonn ein erkennbar angegriffener und enttäuschter Bundeskanzler. Dabei hatten Parteistrategen der Union auf den gestrigen Tag einmal große Hoffnungen gerichtet. Er war für Helmut Kohl als Tag des Triumphs geplant: Die offizielle Einigung auf den Beginn der Europäischen Währungsunion sollte ihn als vorausschauenden Staatsmann von hohem Format erscheinen lassen – als Garant für Stabilität bis ins nächste Jahrtausend. Die Inszenierung geriet daneben. Der Streit über die Leitung der künftigen Europäischen Zentralbank hat dem Kanzler seinen Auftritt verpatzt.

Wie Mehltau schien eine Stimmung gähnender Langeweile über dem Großen Saal der CDU-Parteizentrale zu liegen, als Helmut Kohl dort vor die Presse trat. Er sagte all das, was von ihm erwartet worden war. Er nannte die Einführung des Euro eine „historische Entscheidung“, die „bedeutendste seit der Wiedervereinigung“. Die Kinder würden künftig mit einem neuen Zusammengehörigkeitgefühl für Europa aufwachsen. Es habe sich eine „beispiellose Stabilitätskultur“ in Europa entwickelt. Betonen wolle er auch, „daß wir stolz darauf sind, daß Deutschland seine Hausaufgaben erfüllt hat“. Die Journalisten hörten schweigend zu. Viele spielten mit ihren Kugelschreibern.

Er „plädiere doch leidenschaftlich dafür, daß man diese Äußerung als seine persönliche Äußerung akzeptiert und nicht etwas anderes hineingeheimnist wird“, sagte Helmut Kohl zu der Erklärung des desginierten Zentralbankchefs Duisenberg, noch vor Ablauf seiner achtjährigen Amtszeit zugunsten des französischen Kandidaten Trichet zurückzutreten. Niemand lachte. Was hätte der Kanzler schon anderes sagen können?

Als „ungewöhnlich ärgerlich“ habe er das „überaus harte Ringen“ um die umstrittene Personalentscheidung empfunden, räumte Kohl ein. Aber: „Es ist halt so, wie es ist.“ Ob ihm der Streit nicht im Wahlkampf schaden werde und was er zur Kritik der SPD sage, wollten Journalisten wissen. Der Bundeskanzler zitierte lobende Worte über sich selbst vom EU- Ratspräsidenten Jaques Delors. Und teilte mit: „Wir haben ganz unverdrossen die Absicht, diese Wahlen zu gewinnen.“

Einzelheiten zum nächsten Schritt auf diesem Weg erläuterte CDU-Generalsekretär Peter Hintze. Er stellte den Zeitplan des bevorstehenden Parteitags in Bremen vor. Prinzip Hoffnung: „Wir führen Deutschland in das 21. Jahrhundert“, lautet das Motto der Zusammenkunft. Gleich am ersten Tag soll Helmut Kohl seine politischen Perspektiven bis zum Jahr 2002 darstellen.

Ein Themenschwerpunkt wird neben der Inneren Sicherheit und dem Zukunftsprogramm die Entwicklung in den neuen Ländern sein. Schon im Mai werde sichtbar, „daß wir noch in diesem Jahr die Trendwende am Arbeitsmarkt in den neuen Ländern erleben werden“, versprach Hintze. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte noch wenige Minuten zuvor erklärt, daß auch die Einführung des Euro „kurzfristig“ die Beschäftigungsprobleme in Europa nicht werde lösen können.

Ungewöhnlich still hörten die Journalisten Helmut Kohl zu, als er all das sagte.

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