: Der große Russe wackelt schon
Alljährlich am 9. Mai wird in Rußland des Sieges über das Dritte Reich gedacht. Die Bundesrepublik drückt sich um ihr Erbe: Sie läßt die Sowjet-Denkmäler auf deutschem Boden verrotten — vertragswidrig ■ Aus Berlin Rolf Lautenschläger
Seit ein paar Jahren grinst der Rotarmist vom steinernen Relief des Treptower Ehrenmals in Berlin herunter. Sein Lächeln streift den monströs gebauten Eingang der Anlage, geht über die Gräber der gefallenen Sowjetsoldaten und endet an der elf Meter hohen und 70 Tonnen schweren Kriegerfigur mit Schwert, das ein Hakenkreuz zerschlägt. Belustigt den Rotarmisten die unfreiwillige Komik des Bronzeriesen? Wohl kaum. Eine tiefe braune Rostflocke hat die grimmig gemeiselten Mundwinkel nach oben gezogen, ganz sacht, aber doch ausreiched, um ihm die Trauer aus dem toughen Gesicht zu wischen.
Es gibt wirklich nichts zu lachen auf dem monumentalsten Heldenfriedhof der Stadt, auf dem 4.800 Soldaten der Roten Armee unter stalinistisch aufgeblähten Skulpturen und Inschriften liegen. Denn nicht nur am Rotarmisten nagt der Rost. Auch seine kämpfenden Antifa-Kameraden an den anderen Reliefs bröckeln. Skulpturen und Mamorplatten sind locker, in die Gräber tropft das Regenwasser.
„Die großen Heldentaten sind unsterblich“, lautet pathetisch die Inschrift in Treptow. Die Ehrengräber sind es nicht. „Es besteht dringender Sanierungsbedarf“, sagt Heinz Wiegand von der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Nach einer Untersuchung des unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Ehrenmals seien „jetzt gravierende bauliche Schäden“ bezüglich der Standsicherheit festgestellt worden. So glichen die aus Marmor gebildeten Fahnen am Eingang in Treptow „Tropfsteinhöhlen“, weil Feuchtigkeit hinter die Fassade gelange. Außerdem habe ein Gutachten ermittelt, daß der „große Russe mit dem Schwert wackelt“. Wiegand: „Einsturzgefahr besteht noch nicht, aber möglicherweise ist er in drei Jahren fällig.“
Kaum besser ergeht es den Grabanlagen am zweiten der drei Sowjet-Ehrenmäler in der Hauptstadt. Weil schon zu DDR-Zeiten Reparaturen vernachlässigt wurden, benötigen die stilisierten Ruhmeshallen und Krieger, die Graniteinfassungen und sich senkenden Wege in Schönholz (Bezirk Pankow) eine sofortige Sanierung. Geschieht dies nicht, könnte die 1947 errichtete Grabstätte für 13.000 Soldaten, die beim Sturm auf Hitlers Reichskanzlei 1945 gefallen sind, zum Sterbefall werden.
Daß 53 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Zukunft der Ehrenmäler auf dem Spiel steht, liegt am finanziellen Gezänk über die Grabstättenpflege zwischen dem Bund und den Ländern. Hinzu kommt, daß nach der Auflösung der Sowjetunion und dem Niedergang des Kommunismus den Ehrenmälern politisch der Wind ins Gesicht bläst.
Nach Berechnungen des Bundes und des Landes Berlin kostet allein die Restaurierung der drei Berliner Gedenkstätten in Treptow, Schönholz und Tiergarten über 30 Millionen Mark. Zwar hat sich die Bundesrepublik 1990 im deutsch-sowjetischen „Vertrag über die gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit“ verpflichtet, die Soldatenfriedhöfe und Ehrenmäler zu pflegen. Streit über die Zuständigkeit und finanzielle Verantwortung gibt es, seit der Bund die geschützten Anlagen zur Sache der Länder erklärte — Denkmalschutz, so das Bundesinnenministerium, gehöre zur Kulturhoheit der Länder gehört.
In den Gesprächen, die in diesem Jahr mit dem Bund „unbedingt geklärt werden müssen“, wie Wiegand betont, wird sich Berlin erst einmal auf den Standpunkt stellen, daß Bonn die ganze Last zu tragen hat. Zwar seien die drei Friedhöfe Denkmäler im Sinne der Landesdenkmalordnung. Dennoch bedeute die Sanierung und Pflege eine „gesamtstaatliche Aufgabe“, meint Wiegand. In der Frage der Friedhöfe und Ehrenmäler spiegele sich „deutsche Geschichte, die keineswegs berlinspezifisch“ sei. Während Berlin den Bund „in die Pflicht nehmen will“, erwartet das Land Brandenburg, daß Bund und Länder die Sanierung gemeinsam schultern.
Helmut Domke, Leiter des Referats GUS beim Ministerium für Justiz-, Bundes- und Europaangelegenheiten in Brandenburg, setzt „auf einen fairen Kompromiß bei der Lastenverteilung, denn nur so kann der Verfall der Denkmäler schneller gebremst werden“. Ähnlich wie bei den rund 200 kleineren sowjetischen Soldatenfriedhöfen in Brandenburg, für die der Bund den Kommunen eine Kostenpauschale für den Erhalt zuschießt, sollten auch die Denkmäler zur Aufgabe beider Partner werden.
Viel zu lange hat man sich nach Ansicht Domkes nicht bei der Entscheidung über die Sanierung der Monumente Zeit gelassen. Ebenso vernachlässigt habe man den politischen Diskurs über die pompösen Grabstätten. „In Rußland sind die Ehrenmäler emotional hochgradig besetzt.“ Gehe beim Umgang mit den toten Helden des „Großen Vaterländischen Krieges“ ein falsches Signal in Richtung Moskau, könnte dies zu beträchtlichen Spannungen zwischen beiden Ländern führen.
Vor einem Rückzug aus der Verantworung warnt in diesem Zusammenhang auch Peter Jahn, Chef des Kapitulationsmuseums in Karlshorst. Wer gar die stalinistische Ästhetik der Grabstätten tilgen wolle, bewege sich „auf vermintem Gelände“. Böses Blut erzeugen auch Überlegungungen des früheren Berliner CDU-Senators Heinrich Lummer, die Mahnmale der kommunistischen Besatzer schleifen zu lassen.
Immerhin, für den „ewigen Ruhm der Helden“ wurde und wird etwas getan. Die Rekonstruktion des „Rotarmisten“ am Brandenburger Tor 1995 und Reparaturen in Treptow finanzierten der Bund und das Land Berlin mit 6,5 Millionen Mark. Und zum Gedenken an die Kapitulation am 8. Mai 1945 haben Pioniere der Bundeswehr gestern verlauten lassen, sie wollten die Wegplatten am Ehrenmal Schönholz ausbessern helfen. Da lacht der Rotarmist.
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