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In Bonn rechnet niemand mit Merkels Rücktritt

■ Viele in der SPD sähen aus wahltaktischen Überlegungen Merkel gern weiter im Amt

Bonn (taz) – Bundesumweltministerin Angela Merkel wird wohl im Amt bleiben. Davon gehen nicht nur CDU und FDP, sondern insgeheim auch die Sozialdemokraten aus. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Peter Struck, forderte zwar gestern den Rücktritt Merkels und nannte ihn „unausweichlich“. Aber das Interesse an einem Rücktritt der Ministerin scheint selbst bei der SPD gering zu sein.

Fraktionschef Rudolf Scharping hielt sich bisher auffällig mit Rücktrittsforderungen zurück. Ob und in welcher Form personelle Konsequenzen gefordert würden, müsse man abwarten, sagte er. Möglicherweise werde das nach der heutigen Bundestagsdebatte entschieden. Bedeutungsvoll fügte er hinzu: „Wir können ja bei der Bundestagswahl am 27. September die Konsequenzen ziehen.“

Deutlicher werden Mitglieder von Fraktion und Partei, die nicht genannt werden wollen. Sie sähen es aus taktischen Gründen lieber, wenn Angela Merkel im Amt bliebe. „Der Rücktritt wäre zwar an sich fällig“, sagt ein SPD-Abgeordneter, aber mit einer geschwächten Ministerin stehe die Union im Wahlkampf schlechter da als mit einer prominenten Neubesetzung. Auch der SPD-Parteizentrale käme eine rasche Ablösung nicht gelegen. „Wenn Frau Merkel zurücktreten würde“, heißt es bedauernd, „wär' das ganze Theater ja schon vorbei.“

In der gestrigen Fraktionssitzung der CDU zeichnete sich breite Unterstützung für Angela Merkel ab. Es hieß, die Wut der Abgeordneten habe sich auf die AKW-Betreiber konzentriert. Es habe sich zwar nun gezeigt, daß es falsch gewesen sei, voll auf die Eigenverantwortung der Industrie zu setzen, aber das sei ja nicht nur Kurs der Ministerin, sondern der ganzen Partei gewesen. Der umweltpolitische Sprecher der CDU, Kurt-Dieter Grill, sagte, er sei „sehr sicher“, daß Frau Merkel die Sache „hervorragend überlebt“. Schließlich hätten in erster Linie die SPD-regierten Länder ihre Aufsichtspflicht verletzt. Diese Argumentation fürchtet die SPD.

Der umweltpolitische Sprecher Michael Müller sagte, die Merkel werde jetzt wohl auf die Mitverantwortung der Länder hinweisen, die das Thema ja tatsächlich nicht besonders intensiv behandelt hätten. Müller ist überzeugt, daß Angela Merkel im Amt bleibt, weil eine Demontage Merkels einer Demontage Kohls gleichkäme. Auch bei der FDP wurden in der gestrigen Fraktionssitzung keine Rücktrittsforderungen laut. Hauptverantwortlich seien die Atomunternehmen. Schaden, heißt es allerdings, schaden würde ein Rücktritt von Angela Merkel der FDP nicht. Markus Franz

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