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Karriereträume im Schonraum

Ein Studiengang nur für Frauen – Refugium oder Freiraum? Erstmals versucht es jetzt die Fachhochschule Wilhelmshaven mit der Monoedukation im Bereich „Wirtschaftsingenieurwesen“. Über die Hoffnungen, „Karriere- und Elitefrauen“ auszubilden, berichtet  ■ Katja Ubben

Professor Hans Bernd Schlegel ist verschnupft: Zwei Studentinnen schlüpfen noch schnell zur Tür herein. Die Veranstaltung hat schon begonnen. „Das passiert öfter“, hat der Professor der Betriebswirtschaftslehre beobachtet. Schlegel nimmt seit zwei Semestern an einem „hochinteressanten Experiment“ teil: Im Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen“ an der Fachhochschule Wilhelmshaven unterrichtet er ausschließlich „Damen“, wie er seine Studentinnen nennt. An deutschen Hochschulen ist dies der erste reine Frauenstudiengang. In den zwei Semestern hat der Professor den Eindruck gewonnen, daß es die gemischten Jahrgänge mit der Pünktlichkeit etwas genauer nehmen.

An dem Modellversuch der Wilhelmshavener Fachhochschule nehmen dreißig Studentinnen teil. Getrennt von ihren KommilitonInnen aus dem parallel weiterbestehenden gemischten Studiengang sollen sie „frei von männlicher Dominanz weibliche Rollenmuster“ überwinden, wie die Studienbroschüre die erste Monoedukation an deutschen Hochschulen anpreist. Andere Fachhochschulen ziehen nach: In Aalen ist ein Frauenstudiengang „Feinwerktechnik“ und in Bielefeld ein Frauenstudium „Energieberatung und –marketing“ geplant.

Durch den Ausschluß von Männern sollen die Frauen selbstbewußter werden, heißt es in Wilhelmshaven. Um dann später mit ihrem technisch-wirtschaftlichen Know-how in der Industrie zum Beispiel im Bereich Produktentwicklung oder Arbeitsorganisation Karriere zu machen. Bei der Konzeption haben die privaten Frauencolleges in den Vereinigten Staaten Pate gestanden, die erfolgreiche Frauen wie Hillary Clinton oder US-Außenministerin Madeleine Albright hervorgebracht haben. „Hier sollen die Elitefrauen, die Topfrauen, die Karrierefrauen ausgebildet werden“, schwärmt der Fachbereichsdekan Manfred Siegle über das neuartige Studienangebot.

„Oh, ist das Ihr Platz?“ fragt Studentin Catherine Eichhorn den Dekan und zögert, an seinem Bürotisch Platz zu nehmen. „Nein, nein. Setzen Sie sich ruhig“, antwortet der. In seinem Büro trifft sich regelmäßig ein Projektteam aus Professoren, Lehrbeauftragten und zwei Studentinnen, die den Frauenstudiengang von Anfang an begleitet haben. Als die Idee für den auf sechs Jahre befristeten Modellversuch geboren wurde, stand gerade eine Fachbereichsreform an. Durch den engen Kontakt der Fachhochschule zur Wirtschaft erfuhr man von geänderten Anforderungsprofilen seitens der Unternehmen.

Die wollen verstärkt Frauen im Management haben“, weiß der Dekan. Um mit den „weiblichen Elementen verkrustete Strukturen“ aufzubrechen: „Frauen sehen sich das System von allen Seiten an und ändern etwas. Männer bleiben darin verhaftet.“ Dieses „Verbesserungspotential“ hätten US-amerikanische Firmen längst erkannt. Aber erst jetzt zögen auch deutsche Firmen nach. Tatsächlich hat der Vorstand der Volkswagen AG jüngst beschlossen, den Frauenanteil in Führungspositionen sukzessive auf dreißig Prozent anzuheben. Das Frauenstudium kommt deshalb bei VW gut an. „Wir können die komplexer werdenden Probleme als global agierendes Unternehmen unmöglich mit einem Personal bewältigen, das nur eine Hälfte der Menschheit repräsentiert“, sagt Traudel Klitzke, Leiterin der VW-Frauenförderung. „Frauen bringen aufgrund ihrer Sozialisation bestimmte soziale Kompetenzen mit, die wir in unserem Unternehmen brauchen.“

Studentin Maren Bernstein ist Mitglied im Projektteam. „Ich weiß“, sagt die 22jährige Tochter eines VW-Abteilungsleiters, „daß ich später mal Personal führen will.“ Nach dem Abitur hatte sie zuerst Betriebswirtschaft studiert. Aber das war „nicht der richtige Weg, um mir die nötigen Führungsqualitäten anzueignen“. Per Internet stieß sie dann auf das Wilhelmshavener Modellprojekt und schrieb sich ein – nicht ohne Bedenken: „Ich dachte an Frauenkonkurrenz und Zicken. Aber dann entwickelte sich ein toller Zusammenhalt.“

Der Umgangston ist rauh, aber kollegial. „Was redest du denn da für einen Scheiß?“ raunzt eine Studentin ihre Nachbarin an, die ihr eine Aufgabe nicht richtig erklärt hat.

Die Frauen stecken beim Rechnen die Köpfe zusammen und erklären sich gegenseitig die Aufgaben. Zum Vorrechnen schickt Professor Schlegel eine „Dame“ an die Tafel. „Würden Sie die Werte bitte in einer ordentlichen Tabelle eintragen“, moniert er. Nichts zu machen: Bei der nächsten Aufgabe sieht er sich wieder mit schiefen Kreidestrichen konfrontriert.

„Der Professor macht zwar ab und zu noch ein paar spitze Bemerkungen“, sagt eine Studentin. „Aber eigentlich ist er nett und hat sich an uns gewöhnt“, lautet das Urteil über den einstigen „Kritiker“. Von „Schonräumen“ hatte der anfangs gesprochen und eingewandt, daß die Frauen im Beruf ohnehin wieder auf Männer träfen. Von „Emanzenclubs“ und „Männerfeindlichkeit“ war bei vielen Männern auf dem Campus zunächst die Rede, und daß die Frauen bevorzugt würden. „Wir waren vom Kindergarten an zusammen, und jetzt soll alles anders sein?“ fragt der Wirtschaftsingenieurstudent Tom Schuster. „Schade, daß die Frauen so isoliert in einem anderen Gebäude studieren.“

„Ich vermisse die Männer überhaupt nicht“, sagt die Studentin Marion Hermann. Vor dem Studium arbeitete sie als Kommunikationselektronikerin „allein unter Männern“. Männer seien „nicht schlauer“, sagt sie, „aber in technischen Dingen einfach schnell bei der Sache.“ Jetzt könne sie im Frauenstudiengang „ganz ohne Hemmungen Fragen stellen“. Das despektierliche Wort vom Schonraum nimmt sie gelassen hin. „Wenn dabei ein guter Job rausspringt, ist das doch klasse.“ Übermäßig frauenbewegt sei hier eigentlich keine, höchstens die Frauenbeauftragte der Fachhochschule. Aber die stünde nicht so ganz hinter dem Modellstudiengang.

Nikoletta Amarteifio hat in der Tat so ihre Zweifel. Der Modellversuch sei wegen sinkender Studierendenzahlen in den Ingenieurstudiengängen entstanden. Tatsächlich hätten die Wirtschaftsingenieure im letzten Jahr ohne die Frauen nur vierzig statt wie gewohnt knapp siebzig Erstsemestler am Start gehabt. „Ich unterstütze den Modellversuch zwar“, sagt die Frauenbeauftragte, die vor 25 Jahren „gemeinsam mit Männern“ Maschinenbau studierte. „Aber ich glaube nicht, daß Männer die Frauen behindern. Die lassen höchstens mal ein paar Bemerkungen fallen.“ Das ganze sei „ein Schritt zurück“ in vergangene monoedukative Tage. Für technische Berufe und Studiengänge müsse man die Frauen ganz anders begeistern: „Sie können nicht für Jamaika werben und dann sagen: Aber die Menschen dort sind ganz schrecklich.“ Statt dessen setzt sie lieber auf „Marketing und Schnupperwochen an der Hochschule.“

„Bitte, nicht schon wieder“, stöhnt darüber Fachbereichsdekan Siegle. Die niedersächsischen Hochschulen müßten sich in Sparzeiten natürlich verstärkt um die studentische Auslastung der Fachbereiche kümmern. Aber der „Andrang der Frauen“ zeige doch, daß man auf dem richtigen Weg sei. Eine in Auftrag gegebene Begleitstudie werde nun zeigen, ob ein Frauenstudium langfristig Sinn macht. Und bisher laufe alles „ganz prima“. Inzwischen seien auch die ersten zwei Professorinnen berufen worden. Und die seien „total aktiv“: Erste Reformideen für einen Studiengang Reformideen hätten sie entwickelt – und ein neues Fach „Arbeitspsychologie“ vorgeschlagen.

Wochenende!“ Nach der letzten Vorlesung stehen noch einige Studentinnen vor dem FH-Gebäude und rauchen. „Irgendwann wollen wir ganz nach oben“, witzelt eine Studentin, und die Frau neben ihr sagt: „Na, im dritten Stock zur Vorlesung waren wir ja schon.“ Als „Elitefrauen“, wie der Dekan sie nennt, begreifen sie sich jedoch nicht. „Wir wollen einfach das Beste aus unserem Studium machen. Wie die Männer auch.“ Jetzt stehen erst mal fünf Klausuren an. „Das wird hart“, sagt Maren Bernstein. In Betriebswirtschaftslehre werden sie bei Professor Schlegel ihre allererste Klausur schreiben. Auch der Professor ist schon gespannt. „Dann werden wir sehen, was herauskommt. Und wie die Frauen reagieren, wenn ich die ersten Fünfen verpasse“, frotzelt er.

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