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■ Schröder will den Unternehmer Stollmann als Wirtschaftsminister. Und ein Kabinett, das eine Art amtliches Bündnis für Arbeit sein sollNichts wird anders, alles besser

Der Triumph der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre als neue Leitdisziplin von Wissenschaft schlechthin ist perfekt. Wissenschafts- und Forschungspolitik wird zukünftig – wenn denn „die neue Mitte“ sich am 27. September dieses Jahres einen neuen Kanzler wählen wird – im Wirtschaftsministerium ressortieren. Das jedenfalls meint der dafür ausersehene Kandidat. Jost Stollmann scheint sich als Ressortchef des neuen Ministeriums für „Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung“ qualifiziert zu haben, weil er erstens in seinem jungen Leben schon so viele Millionen gescheffelt hat, daß er sich nun anderem widmen kann, zweitens seit seinem Rückzug aus dem aktiven Geschäftsleben einige Bücher gelesen hat und drittens auch für einen Posten im Kabinett von Kohl zur Verfügung gestanden hätte.

Stollmann soll Minister werden, weil der eigentlich von Schröder umworbene Unternehmensberater Roland Berger abgewinkt hatte und verlauten ließ, daß er als Bayer ohnehin CSU wähle. Der Zuschnitt des ihm zugedachten Ressorts vervollständigt das Profil der SPD, die wenig anders, aber alles viel besser machen will als Kohl. In Nordrhein-Westfalen faßt Clement das Innen- und das Justizressort unter einem Dach zusammen; im Saarland eliminiert Lafontaine die Sozial- und Geisteswissenschaften aus dem Lehr- und Forschungsprogramm der Uni Saarbrücken; und in Bonn wird ein gelernter Besserverdiener die Geschicke der Wissenschaft lenken.

All das würde, wenn dies die politische Rechte täte, einen Sturm der Entrüstung auslösen über die mangelnde Sensibilität gegenüber dem Prinzip der Gewaltenteilung, über die Geringschätzung des Sozialen und des Geistes, die sich schon immer hinter den Aversionen gegenüber den Sozial- und Geisteswissenschaften verborgen hat, über die Einverleibung der Wissenschaft in das Wirtschaftsministerium. Wenn schon die Politik mehr oder weniger zur Wirtschaftspolitik verkommen ist, warum soll denn nicht auch die Wissenschaft vorrangig Wirtschaftswissenschaft werden?

Die Reaktionen auf diese Innovationen unter sozialdemokratischer Federführung sind sehr viel verhaltener, und so wird es möglicherweise auch mit anderen „Innovationen“ sein, die in der Bundesrepublik (wie einst auch schon so „innovative“ Maßnahmen wie die Berufsverbote) erfolgreich nur von der SPD und nicht von denen durchgeführt werden können, in deren geistiges Umfeld sie eigentlich gehören. Kohl war angetreten, eine geistig-moralische Wende herbeizuführen. Deren Vollendung wird er nun wahrscheinlich der SPD überlassen müssen.

Kohls größter Fehler war vielleicht, daß er das vor Jahren von den Gewerkschaften initiierte „Bündnis für Arbeit“ nach seiner erfolgreichen Instrumentalisierung für die damaligen Landtagswahlen hat platzen lassen. Es ist nun Schröders größter Wahlkampfschlager. Aber vielleicht war das Scheitern des Bündnisses für Arbeit kein Fehler von Kohl, sondern die Demonstration einer entscheidenden Schwäche des konservativ-liberalen Lagers: einerseits verfügt es nicht über die Brutalität seiner Schwesterparteien in den USA und in Großbritannien, andererseits auch nicht über die sozialdemokratische Bindungskraft gegenüber Gewerkschaften und Intellektuellen.

Das Schattenkabinett von Gerhard Schröder erscheint als ein vorweggenommenes Bündnis für Arbeit zwischen dem millionenschweren Unternehmerminister Stollmann, dem als Modernisierer profilierten Gewerkschaftsminister Walter Riester, dem politischen Arm der SPD, vertreten durch Oskar Lafontaine, und der vereinigten Technokratie, vertreten durch den zukünftigen Kanzler höchstselbst. Wenn auch noch die in den Kriechgang gewechselten Grünen die Fünfprozenthürde überwinden, dann hat man auch noch die Umwelt im regierungsamtlich vorexerzierten Bündnis für Arbeit vertreten. So steht zu hoffen, daß das Beispiel Schule macht und sich das ganze Land in ein einziges, großes, harmonisches Bündnis für Arbeit verwandelt.

Denn es geht ja ohnehin schon seit langem nur noch um „Arbeit! Arbeit! Arbeit!“. Die Unternehmer investieren nicht mehr zugunsten ihrer Profite, sondern zur Sicherung von Arbeitsplätzen, die Gewerkschaften machen aus dem gleichen Grund eine moderate Lohnpolitik, die Grünen wollen die Ökosteuer nicht mehr der Umwelt zuliebe, sondern zur Senkung der Lohnnebenkosten, und der SPD geht es eigentlich auch nicht um die Macht, sondern um „Arbeit für alle“. Und da die Wissenschaft demnächst endlich unter dem Dach der Wirtschaft untergebracht sein wird, kann die Gemeinschaft der Arbeitsbündler auch mit dem notwendigen wissenschaftlichen Beistand rechnen.

Eine der ersten Großtaten im ersten, gescheiterten Anlauf auf ein Bündnis für Arbeit war ein gemeinschaftliches Bekenntnis aller Beteiligten zu den Grundzügen neoliberaler Wirtschaftspolitik, abgemildert durch einige Zugeständnisse an gewerkschaftliche Anliegen. Weil die von Kohl dafür in Aussicht gestellte Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 ausfiel, platzte das erste Bündnis für Arbeit.

Die neue Bundesregierung im Wartestand gibt erst gar keine nachprüfbaren Versprechungen dieser Art ab. Sie will eine Trendwende am Arbeitsmarkt, die ja schon erreicht wäre, wenn die Arbeitslosigkeit nicht weiter anstiege, wenn es gelänge, einen Teil der Arbeitslosigkeit in sogenannte prekäre Beschäftigung in einen ausgebauten Niedriglohnsektor umzulenken – ein Modell, das in den USA und Großbritannien praktiziert wird.

Bislang ist diese Strategie am Widerstand von Gewerkschaften und dem doch irgendwie immer noch lebendigen sozialen Grundverständnis von Demokratie, nicht zuletzt repräsentiert durch die SPD, gescheitert. Kann sein, daß es einer SPD-Bundesregierung gelingt, soziale Demokratie zur Richtschnur ihres Handelns zu machen und diese auch in einem neuen Bündnis für Arbeit zur Geltung zu bringen. Es kann aber auch sein, daß die SPD vollbringt, woran die Koalition scheitert: nämlich den Schulterschluß der Leistungsträger im Abwehrkampf gegen die „überzogenen Ansprüche“ jener, die auch im Schröder-Land auf der Strecke bleiben werden.

Offene Fragen. Doch daß die Wissenschaft im Wirtschaftsministerium ressortiert und dieses von einer Person repräsentiert wird, die auch gerne an Kohls geistig- moralischer Wende mitgewirkt hätte, läßt nichts Gutes ahnen. Ingrid Kurz-Scherf

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