: Starke Fehde um richtiges Schreiben
In Schleswig-Holstein werden Landesregierung und Bürgerinitiative sich nicht einig. Bei der Frage der neuen Rechtschreibung gibt keiner nach. Nun buhlen die Streithähne um die Gunst der Wähler am 27. September ■ Aus Kiel Heike Haarhoff
Noch drei Wochen bis zum Schuljahresbeginn in Schleswig- Holstein, doch kein Grammatikbuch, keine Lesefibel ziert die Schaufensterauslage im Buchladen nahe des Kieler Hauptbahnhofs. „Nee“, grinst der Buchhändler, „hier im Norden herrscht Lehrmittelfreiheit, da müssen die Eltern die Schulbücher nicht für ihre Kinder kaufen.“ Vielmehr ordern und bezahlen die Kommunen als Schulträger die Bücher direkt bei den Schulbuchverlagen.
Und das, sagt der Verkäufer, sei auch gut so: „Ich würde das Risiko nicht eingehen wollen. Man weiß doch gar nicht, nach welchen Büchern überhaupt noch unterrichtet werden soll“ – falls sich die schleswig-holsteinischen Gegner der Rechtschreibreform, die bundesweit am 1. August Gesetz wird, am 27. September mit ihrem Volksentscheid für den Erhalt der alten Orthographieregeln im Norden durchsetzen. Allerdings, grinst der Händler, habe er die ultimative Alternative zur Reform zu bieten. Asterix, Band 3: „Wie snack Platt“. Weniger humorvoll betrachtet Ministerpräsidentin Heide Simonis die Diskussion um die Rechtschreibreform: „Wir müssen alles tun, damit die Kinder in Schleswig- Holstein nicht die Opfer unterschiedlicher Rechtschreibregeln in Deutschland sind“, plädierte die SPD-Frau vorige Woche erneut an alle Wahlberechtigten, dem Volksentscheid nicht zuzustimmen.
Hat der Antrag der Initiative „Wir gegen die Rechtschreibreform“ im September Erfolg, und das ist angesichts der 220.000 Unterschriften beim vorausgegangenen Volksbegehren nicht unwahrscheinlich, würden die 305.700 Schulkinder Schleswig-Holsteins fortan als einzige im gesamten Bundesgebiet nach den alten Regeln unterrichtet. Man werde alles tun, so Simonis, diese „Insellösung“ zu vermeiden. „Fatale Folgen“ hätte diese Regelung für die Kinder, da sind sich Landesregierung und die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) einig: „Die Schüler wären stets benachteiligt“, fürchtet der GEW- Landesgeschäftsführer Bernd Schauer. Sobald sie in ein anderes Bundesland umzögen oder sich nach Abschluß der Schule außerhalb Schleswig-Holsteins um eine Lehrstelle bemühten, liefen sie Gefahr, als „Rechtschreibdeppen“ abqualifiziert zu werden. Alle Lehrer, sagt Schauer, seien deswegen für die Reform. Doch die meisten Eltern „sind da anderer Meinung. Die glauben, zumindest die alte Rechtschreibung zu beherrschen und wollen diesen Vorsprung nicht aufgeben.“
Das Bildungsministerium stöhnt. „Ungeheure Kosten“ kämen auf die Kommunen zu, die die Schulbücher bezahlen müssen. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat bereits unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß die Schulbuchverlage keineswegs gewillt seien, künftig Sonderauflagen für die Nordkids zu drucken, zumal der Anteil Schleswig- Holsteins an den Lehrmitteln bundesweit nicht mehr als vier Prozent ausmacht. „Im schlimmsten Fall müßten wir einen eigenen Schulbuchverlag gründen“, fürchtet eine Ministeriumssprecherin. Die jetzigen Schulbücher – seit zwei Jahren wird in Schleswig-Holstein nach den neuen Regeln unterrichtet – müßten dann „eingemottet werden“. Simonis drohte deswegen gar, den vermeintlichen Reformstopp durch einen Gegen-Gesetzentwurf zu Fall zu bringen.
Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtschreibreform jüngst für Rechtens erklärt. Der Kieler Staatsrechtler Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Lorenz-von-Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaften an der Universität Kiel, hält Simonis' Strategie zwar für zulässig. Doch findet die SPD-Regentin für eine Gesetzesinitiative, die den Volksentscheid aushebeln würde, derzeit nicht die Mehrheit im Landtag. Selbst der grüne Koalitionspartner erklärte: „Wir werden das Ergebnis des Volksentscheids respektieren“, auch wenn dies bedeute, daß an den schleswig-holsteinischen Schulen eine andere Rechtschreibung gelehrt werde als in anderen Bundesländern. Frühestens nach der Landtagswahl im Jahr 2000 sei eine Änderung des Schulgesetzes denkbar. Jedes andere Verfahren, so der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Karl- Martin Hentschel, „wäre eine Mißachtung des Volkswillens“.
Die will auch der Sprecher der Initiative „Wir gegen die Rechtschreibreform“, Matthias Dräger, erkennen. Sollte der Volksentscheid Erfolg haben und Simonis trotzdem ein Gegengesetz auf den Weg bringen wollen, „wäre das ein Grund, ihren Rücktritt zu fordern“, so Dräger zur taz. Er selbst, so der 41jährige, habe zwar weder Kinder noch sei er Sprachwissenschaftler, doch „die deutsche Sprache gehört zu meinem Handwerkszeug“: In seinem „Reichl Verlag der Leuchter“, Sitz ist die Kleinstadt St. Goar bei Koblenz, erschienen Bücher über „Lebenshilfe, Gesundheit und abendländische Mystik“.
Weil am 27. September nicht nur über den Volksentscheid abgestimmt wird, sondern auch eine neue Bundesregierung gewählt wird, ist Dräger „zuversichtlich“, daß die Menschen zu den Urnen strömen und die nötigen 550.000 Unterschriften zusammenkommen werden. Regierung, Opposition und Gewerkschaft unterdessen wollen die Zeit bis Ende September für „Aufklärungskampagnen“ nutzen.
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