: Ein Bild von der Alltäglichkeit des Krieges
■ Das Bayerische Armeemuseum Ingolstadt: Rührend altmodisches Kriegswerkzeug aus 600 Jahren bis zur brutalen Gegenwart des Krieges in unserem Jahrhundert
Der Besuch eines Armeemuseums gehört für den größeren Teil der Menschheit nicht zu den naheliegendsten Methoden der Freizeitgestaltung. Bayern wird als Heimat maßkrugschwingender Ultrakonservativer außerhalb seiner Grenzen von vielen mit Skepsis betrachtet. Warum also sollte man sich einen Besuch im Bayerischen Armeemuseum antun?
Es gibt mehrere Gründe, unter anderem den Abbau von Vorurteilen. Wer nämlich von den Bayern Kriegstänze und Hurra-Geschrei erwartet, wird erstaunt sein von der meditativen Stille im Neuen Schloß von Ingolstadt, wo der alte Teil des Bayerischen Armeemuseums untergebracht ist. Und noch mehr wird womöglich die Eindringlichkeit überraschen, mit der die Dauerausstellung zum Ersten Weltkrieg in der kaum fünf Gehminuten entfernten historischen Befestigungsanlage Reduit Tilly den Bezug zwischen BetrachterIn und Betrachtetem herstellt.
Im Neuen Schloß ist auf vier Stockwerken Kriegswerkzeug und -zubehör aus knapp 600 Jahren so präsentiert, daß die ursprüngliche Funktion hinter der ästhetischen Gesamtwirkung zurücktritt. Die weitläufigen, hellen Räume der 1418 begonnenen ehemaligen Residenz sind sparsam genug bestückt, um die klösterliche Atmosphäre nicht zu stören. Daß die ausgestellten Gegenstände einmal auf die eine oder andere Weise den Krieg ermöglicht haben, muß man sich in dieser Umgebung fast mühsam vor Augen führen. Ungehindert steigen Assoziationen aus der persönlichen Klamottenkiste auf – die mächtigen Pistolen erinnern eher an den Räuber Hotzenplotz.
Im letzten Saal hängen, bis zur Durchsichtigkeit abgewetzt, die Fahnen, mit denen das Bayerische Heer 1914 ein letztes Mal geschlossen ins Feld zog. Rührend altmodisch sehen sie aus, als sei das alles lange, lange her. Mit diesem Bild im Kopf sollte man hinüber ins Reduit Tilly gehen. Und plötzlich ist gar nichts mehr vorbei. Vom ersten Moment an wird man in einen Strudel hineingerissen, der keine Sekunde vergessen läßt: Das hier ist noch immer dein Jahrhundert. „Wir haben keine kriegerischen Bedürfnisse“, erklärt Bismarck am 11. 1. 1887. Drei Jahre später verläßt der Lotse das Schiff, und wir begeben uns unter einer Heldenbüste des jungen Wilhelm II. hindurch mitten in den haarsträubendsten Militärkitsch – Pickelhauben zu Tintenfässern! Bilderrahmen aus Projektilen! – und die hohe gesellschaftliche Akzeptanz alles Militärischen in den Vorkriegsjahren.
Daß der Erste Weltkrieg nicht vom Himmel gefallen ist, ergibt sich aus Landkarten von Kolonialreichen und Bündnissystemen, aus Karikaturen und informativen Texten. Der erste von vier Videos à fünf Minuten heißt „Sarajewo“, ein Name, der unfreiwillig und unbequem den Bogen direkt in die Gegenwart schlägt. Und so geht es weiter, durch etwa 30 Räume. Es prägen sich die Kindergesichter ein, die kurz darauf vor Langemarck verheizt wurden; ein Mann, dem vom Becken abwärts sein Körper abhanden gekommen ist, schaut mit erstarrtem Ausdruck an der Kamera vorbei.
Man sollte viel Zeit einplanen für diesen 1994 eröffneten Teil des Museums, denn man sieht sich unweigerlich fest an Details aus der Ödnis von Kriegsgefangenschaft und Schützengraben, Propagandaplakaten, Feldkreuzen. So entsteht ein Bild von der Alltäglichkeit des Kriegs und eine Ahnung, wie der Mensch auch einen Wahnsinn solchen Ausmaßes in sein Leben integriert und eben weiterwurschtelt. Neben der permanenten zeigt das Museum noch bis Januar die Sonderausstellung „Frauen in Uniform“, interessant vor allem wegen den unsäglichen frühen Darstellungen auf dem Niveau schlüpfriger Herrenwitze und den stolzen Gesichtern in den Anfängen, als Frauen endlich auch Uniform und entsprechende Verantwortung (zunächst im zivilen Bereich) tragen durften.
Am Ende der Ausstellung steht das berühmte Foto vom weinenden Engel über dem zerstörten Dresden 1945. Der Erste Weltkrieg als „war to end all wars“, wie der amerikanische Präsident Woodrow Wilson 1918 sagte? Von wegen. Katherina Anzenberger
Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt, Paradeplatz 4 im Neuen Schloß und Reduit Tilly. Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 8 Uhr 45 bis 16 Uhr 30. Eintritt jeweils 5,50 DM oder 7,50 DM für beide Teile. Telefon: 0841/35067.
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