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Wo Bismarck in den Windeln lag

Zu DDR-Zeiten war es nicht erwünscht über die Bismarcks zu reden. Heute vermarktet der Ort Schönhausen die Geburtsstätte des deutschen Reichskanzler. In puncto Kitsch kann er es mit Diana aufnehmen  ■ Von Annette Jensen

Vier französische Kanonen standen im Garten – früher, als Otto von Bismarck lebte und es die DDR noch nicht gab. „Ich hab' noch mit den Kanonen gespielt“, sagt der 84jährige Willy Patze, und seine blauen Augen strahlen. Auch im Schloß kannte er sich aus: „Meine Mutter war Raumpflegerin bei der Fürstin. Die hat mir gestattet, daß ich dort ein- und ausgehen durfte.“

Heute ist von all dem in Schönhausen nicht mehr viel zu sehen. Eine kleine Mauer zeigt, wo einmal die Außenwände von Bismarcks Geburtshaus standen; Rasen innen und außen. An den Schloßpark erinnern noch einige Alleewege und die Halbnackten aus Stein, die offenbar erst vor kurzem rund um ein zugewachsenes Loch aufgebaut wurden. Das soll wohl ein Teich werden, doch im Moment sieht es eher aus wie ein Bombenkrater. „Es muß noch einiges gemacht werden“, räumt Ingeborg Manczik von der Touristeninformation des kleinen märkischen Ortes an der Elbe ein, der etwa 50 Kilometer nördlich von Magdeburg liegt. Noch ist die Dorfstraße mit einem Ehrendenkmal für die Schlacht bei Sedan und einem anderen für die rote Armee eine einzige Baustelle. Erst im Oktober soll hier das Bismarck-Museum eröffnet werden. Doch schon heute kommen BesucherInnen aus Hannover, Hamburg und Berlin angereist, und gelegentlich spuckt ein Bus auch eine größere Reisegruppe aus. Schließlich ist Bismarck-Jahr – vor 100 Jahren ist der erste deutsche Reichskanzler gestorben.

„Zu DDR-Zeiten war es nicht erwünscht, über die Bismarcks zu reden“, sagt Brigitte Neumann. 1958 sprengte eine Sondereinheit der Polizei das Schloß. „Es gab einen riesigen Knall und eine Staubwolke, die aussah wie ein Atompilz“, erinnert sich die gebürtige Schönhausenerin. Niemand im Dorf protestierte. Das Gebäude hätte einen Schwamm gehabt, hieß es in der Zeitung.

Zur Konfirmation bekam Brigitte Neumann ein Paket von den Bismarcks aus dem Sachsenwald – ein Kleid und die ersten Perlonstrümpfe ihres Lebens. Alle Kinder in Schönhausen, deren Väter im Krieg gefallen waren, bekamen solche Post. „Die Altmark ist der Ursprung der Familie. Und mit ihren Untertanen war es über Jahrhunderte ein gegenseitiges Geben und Nehmen“, sagt die Frau mit dem schwarzgrauen Dutt. Doch sie erwähnt auch die Hexenverbrennung, die hier kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg auf Geheiß des Patrons stattfand. Und wenn Besucher kommen, zeigt sie ihnen nicht nur die massige Backsteinkirche, vor deren Barockaltar Otto von Bismarck 1815 getauft wurde, sondern auch die Stelle, an der junge Menschen während der NS-Zeit in einem Arbeitsdienstlager gequält wurden.

In Stendal, wo die Bismarckfamilie im Mittelalter wegen Korruption rausgeflogen war und der Reichskanzler 1868 zu seiner großen Genugtuung die Ehrenbürgerschaft bekam, ist zur Zeit eine Postkartensammlung mit Bismarck-Motiven zu sehen. Der Mann war ein Idol. In punkto Kitsch könnte er es mit Lady Di aufnehmen. Walküren schweben heran und schmücken ihn mit Lorbeer, ein Strahlenkranz umgibt Kanzler und Kaiser wie heilige Lichtgestalten. Dann wieder das Konterfei des strenge Alten mit den buschigen Augenbrauen und seine Zitate: „Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt.“ Und: „Ein einiges Deutschland wird nie unterliegen.“ Und schließlich Bismarck im Proletarier-Outfit als Schmied des Deutschen Reiches.

Doch nicht nur im 19. Jahrhundert fand er viele Verehrer. 1992 hat sich in Stendal die Bismarck- Gesellschaft wiedergegründet, deren 60 Mitglieder in diesem Sommer Vorträge, Ausstellungen und Gottesdienste in der gesamten Altmark organisieren. „Wenn man ihn kennt, muß man ihn mögen“, behauptet Hermann Reuter, Präsident der Gesellschaft. Er ist beseelt von Bismarcks Liebe zu Bäumen und Tieren, schwärmt von seinem Musikverstand und bedauert ihn für seinen schlechten Schlaf. „Er war ein richtiger, guter Deutscher – trotz aller 80.000 Toten.“

Einige Kilometer südlich von Stendal liegt die 120-Seelen-Gemeinde Döbbelin – ein typisches Altmarkdorf, wo Mauern und Hecken die Gärten und Backsteinhäuser von der Straße trennen, die Menschen Blumen lieben und es eine Kirche, aber keinen Bäcker gibt. Auch dies eine Pilgerstätte für Bismarckfans: Ottos Großneffe Alexander ist hier am Wochenende anzutreffen. Nach der Wende hat er das Schlößchen zurückbekommen, das bis dahin von der Gemeinde als Verkaufsstätte und Arztraum genutzt wurde.

„Das Gelände rundrum war total verwildert“, sagt Gerhard Hofmann, der seit 1937 in Döbbelin lebt und jetzt von zwei fürstlichen Hunden begleitet mit Harke und Hacke durch den Park stapft. Der Garten sieht inzwischen recht schnieke aus und lädt mit Pavillons, Kinderspielplatz und Ponyweide Besucher zum Verweilen ein. Im Schloßkeller gibt es das ganze Jahr über Weihnachtskugeln und -männer, Bismarckbier, -schnaps und -wein zu kaufen, und bald wird unter einem ewigen Adventsstern auch Kaffee ausgeschenkt. „Die Unterhaltung von so einem Schloß ist teuer. Da müssen wir uns was ausdenken“, sagt Hofmann und versichert, daß die Ideen für neue Einnahmequellen sowohl von den drei Angestellten als auch vom Fürsten kommen. „Jeder von uns überlegt sich was. Und das Beste machen wir dann.“

Heute wird eine Ausstellung über Bismarcks Naturliebe eröffnet – ein Sammelsurium von Zeichnungen, Karikaturen und Sonnenuntergangsfotos, organisiert von der Bismarckgesellschaft. Zwei Rentnerinnen flüstern, seit sie die Schwelle zum Schloß überschritten haben. Sie lugen in den Salon, dessen Tür weit offensteht. Dort entdecken sie ein poppiges Sofa im Ikea-Look neben einer Sitzgruppe im Stil der 50er Jahre. Ihre Männer studieren die Familiengalerie im Flur. „Da ist Otto. So einer fehlt heute in Bonn. Der würde die Politik auf Vordermann bringen“, gibt einer der Senioren zum besten. Der joviale Hausherr erwartet die Besucher im ersten Stock vor einer Girlande aus internationalen Flaggen. „Hier ist meine Heimat. Ich habe die Menschen sofort verstanden, obwohl ich im Westen aufgewachsen bin“, sagt Alexander von Bismarck mit unüberhörbar hanseatischem Akzent. Als Junge habe er den berühmten Vorfahr verteufelt: „Die Gesellschaft erwartet von jemandem mit diesem Namen, daß er etwas für die Gemeinschaft tut.“ Doch inzwischen überwiegt der Stolz auf den Großonkel und die positive Erfahrung, daß die Leute besser zuhören, wenn man Bismarck und nicht Meier heißt.

Auch Willy Patze ist heute aus Schönhausen hierhergekommen, um sich die Bilder anzuschauen und alte Bekannte zu treffen. Und er will für ein dringendes Anliegen werben: „Seit dem Krieg fehlt der Friedensstein vor unserer Bismarckeiche. Der muß da wieder hin.“ Willy Patze glaubt zu wissen, wo das gute Stück geblieben ist, das einst in Anwesenheit des Reichskanzlers neben dem jungen Baum aufgestellt wurde – zur Erinnerung an die gewonnene Schlacht gegen die Franzosen bei Sedan. „Ich hab' ihn in einem Garten entdeckt. Der Friedensstein ist geklaut worden“, so Patze. Doch alle Eingaben beim Bürgermeister haben nicht dazu geführt, daß der Eiche am Rande einer Kleingartensiedlung wieder zu ihrer Ehre verholfen wurde. Vielleicht kann ja der Fürst was drehen.

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