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"14 Jahre Diepgen sind genug"

■ Nach dem katastrophalen Wahlergebnis denkt die CDU über Konsequenzen nach, doch Diepgen ist unangefochten. Die SPD kürt ihren Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl erst im Frühjahr

Das Wahlergebnis wird „keine Auswirkungen“ auf die Große Koalition haben, hieß die Losung der CDU unmittelbar nach ihrer katastrophalen Wahlniederlage. Doch das ist Wunschdenken. SPD-Umweltsenator Peter Strieder rechnet damit, daß der Druck der CDU auf den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) wächst. Dann werde Diepgen versuchen, sich über Konflikte in der Großen Koalition zu profilieren, so Strieders Szenario. Dadurch werde die Akzeptanz der Großen Koalition in der Öffentlichkeit abnehmen, weil diese sich nicht als Team verstehe.

Das Kräfteverhältnis in der Großen Koalition dürfte sich mit diesem Wahlergebnis zugunsten der SPD verschieben. CDU-Abgeordnete wie Andreas Apelt befürchten: „Die SPD wird uns das Leben in der Koalition schwermachen. Die Arbeit wird enorm schwierig.“ Doch platzen wird die Große Koalition nicht. Beide Koalitionspartner wissen nur zu gut, daß ihnen eine vorzeitige Aufkündigung des Regierungsbündnisses mehr schaden als nützen würde.

Doch der frühere Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) verweist darauf, daß die Analogie zwischen Diepgen und Kohl offenkundig sei. „Viele sagen, 14 Jahre Diepgen sind genug.“ Er sei nicht die Lokomotive im Senat. Kultursenator Peter Radunski (CDU) wehrt sich indes gegen diesen Vergleich. „Diepgen ist ein junger Mann im Zenit seiner Erfahrung.“

Bislang sieht es nicht so aus, als könnte der Regierende Bürgermeister in seiner Partei unter Druck geraten. Der Schock des Wahlergebnisses sitzt auch bei den Diepgen-kritischen Rebellen der Union 2000 so tief, daß sie jetzt Einigkeit demonstrieren wollen. Denn parteiinterne Querelen könnten die Partei nur noch tiefer in den Abwärtsstrudel ziehen.

Zudem ist keine Alternative zu Diepgen in Sicht. Einen möglichen Gegenkandidaten, der das Zeug hätte, Diepgen die Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhauswahl streitig zu machen, gibt es nicht. Diepgen ist für die CDU ein Zugpferd, zumal er genau die Mitte repräsentiert, mit der die CDU in Berlin die Wahl gewinnen will.

So erklärten Diepgen und CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky gestern, für personelle Konsequenzen gebe es keine Notwendigkeit. Landowsky betonte aber, die CDU müsse mehr junge Leute für die Mitarbeit gewinnen.

Damit griff er Erwartungen der Jungen Union (JU) auf. JU-Sprecher Ferdinand Schuster hatte am Wahlabend bemängelt, die Partei werde von 50jährigen Männern regiert. Die CDU müsse sich für junge Menschen, für Frauen und Ausländer öffnen. „Der Kurs der CDU muß sich ändern, sonst bricht uns die neue Mitte weg“, so Schuster. Die CDU dürfe jetzt auch nicht darauf warten, daß Rot-Grün Fehler mache.

Nach Ansicht von CDU-Geschäftsführer Matthias Wambach müssen Konsequenzen aus dem miserablen Wahlergebnis gezogen werden: Im Ostteil der Stadt müsse die Partei „einschneidende strukturelle Veränderungen“ einleiten. Der Parteiapparat ist hier bekanntermaßen noch unterentwickelt.

Der frühere Juso-Vorsitzende Matthias Linnekugel erklärte: „Die SPD muß klug vorgehen, um den Schwung der Bundestagswahl für Berlin zu nutzen.“ Die SPD müsse verstärkt auf rote und grüne Akzente setzen, beispielsweise bei der sozialen Stadtentwicklung. Als Anforderungsprofil für einen möglichen Spitzenkandidaten nannte Linnekugel: „Es muß eine Person sein, die mit dem Wechsel in Verbindung gebracht wird.“ Die CDU hofft indessen, daß die SPD keinen populären Spitzenkandidaten findet. SPD-Fraktionschef Klaus Böger jedenfalls verkörpere „nicht die Erneuerung“, gab sich dessen CDU-Kollege Klaus Landowsky gelassen.

Doch über die Frage der Spitzenkandidatur wollen die Sozialdemokraten erst im Frühjahr nächsten Jahres entscheiden. Der Wahlkampf soll kurz und knackig werden. Bis Anfang nächsten Jahres sollen die möglichen Kandidaten Stillschweigen über ihre Absichten bewahren, lautet eine interne Absprache. So antwortete denn auch SPD-Fraktionschef Klaus Böger auf die Frage nach seinen Ambitionen: „Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt für personalpolitisches Gegacker.“

Walter Momper blieb, was seine mögliche Spitzenkandidatur anging, wie immer sibyllinisch: „Ich werde mich zu gegebener Zeit äußern.“ Seiner Ansicht nach müsse sich die SPD jetzt vor allem in der Wirtschafts-, Bildungs- und Sozialpolitik profilieren. Momper äußerte Zweifel an CDU-Senator Elmar Pieroth: „Mit einem lahmen Wirtschaftssenator ist das nicht zu machen.“

Spekulationen, wonach Pieroth im Zuge einer Senatsumbildung abgelöst werden könnte, wenn Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) ins Schröder- Kabinett einzieht, wies CDU-Sprecher Wambach aber als „Geisterdebatte“ zurück. Der dritte im Bunde der möglichen SPD-Kandidaten, Umweltsenator Strieder, zog am Wahlabend ganz Schröder-like an einer dicken Zigarre. „Ich bin der Berliner Schröder“, verkündete er selbstbewußt und schickte dann einschränkend hinterher: „Hat mal jemand gesagt.“ Dorothee Winden

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