: Plädoyers im Mord-Prozeß: „Das Gegenteil von Mutterliebe“
■ Der Staatsanwalt fordert lebenslänglich für die Mutter, die ihr Kind getötet hat / Anwältin sieht dagegen durch die Tat ein Tabuthema berührt
Der Anwalt des Nebenklägers bemühte Brecht. Das, was die Angeklagte getan habe, sei „das Gegenteil von Mutterliebe“ wie sie im Kaukasischen Kreidekreis beschrieben werde. Wie berichtet, hat die 41jährige Frau, die sich derzeit wegen Mordes vor dem Landgericht verantworten muß, ihre elfjährige Tochter umgebracht. Die Betriebswirtin war mit ihrem Reisebüro pleitegegangen und wollte ihrer Tochter, so ihre Aussage, ein Leben in Armut ersparen. Nach der Tat hatte die Frau versucht, sich das Leben zu nehmen, was ihr aber mißlang.
Die Angeklagte habe „immer nur sich selbst geliebt“, sagte der Anwalt, der den Vater des getöteten Kindes vertritt, weiter. Im Gegensatz zu der Mutter im Kaukasischen Kreidekreis sei die Angeklagte „eiskalt und äußerst brutal“ vorgegangen. Im Brechtschen Kreidekreis streiten zwei Frauen um ein Kind. Das Kind wird in einen Kreidekreis gestellt. Um zu ermitteln, welche Frau tatsächlich die Mutter ist, werden beide aufgefordert, je an einem Arm zu ziehen. Die Frau, die das Kind zu sich herüberzieht, soll das Kind bekommen. Doch die richtige Mutter läßt den Arm los, weil sie das Kind nicht verletzen will. Die Angeklagte hätte für ihre Tochter dagegen einen „schweren destruktiven Haß“ empfunden. Deshalb sei sie so brutal gewesen, sagte der Anwalt des Vaters. Wie berichtet, hatte die Angeklagte zunächst versucht, ihr Kind zu erdrosseln. Als das mißlang, verletzte sie ihre Tochter mit neun Messerstichen schwer und erhängte es. Der Nebenkläger berief sich auf einen der Gutachter. Der Psychiater hatte ausgesagt, daß das Verhältnis zwischen beiden auch von Neidgefühlen beeinflußt worden sei. „Mit diesem Verfahren setzen wir den Preis für ein Menschenleben fest“, schloß der Anwalt und forderte eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes.
Zuvor hatte auch der Staatsanwalt lebenslänglich wegen Mordes gefordert. Die Frau habe ihr schlafendes Kind „heimtückisch“ angegriffen. Eine verminderte Schuldfähigkeit vermochte der Ankläger im Gegensatz zum Gutachter nicht zu erkennen. Außerdem würde die besondere Verwerflichkeit der Tat diese verminderte Schuldfähigkeit, selbst wenn diese vorläge, aufheben. Die Tochter war bei dem Anschlag der Mutter aufgewacht und hatte um ihr Leben gebettelt. „Mama, was machst Du, ich will leben“, hatte das Mädchen geschrien. Und: „Mama, wir finden einen Weg.“
Daß die Tat „schwer zu begreifen“ sei, räumte auch die Anwältin der Angeklagten ein. Ihre Mandantin habe ihre Tochter jedoch „selbstverständlich geliebt“. Ihre Mandantin habe das Kind schützen wollen. Die Tat berühre allerdings ein Tabuthema. „Eine Mutter läßt ihr Kind nicht im Stich. Wer sein Kind tötet, der begeht das Verbrechen schlechthin“, sagte die Anwältin. Darüber hinaus sei die Unternehmerin eine „psychisch hochauffällige Frau“, die vermindert schuldfähig sei. Sie habe mit niemandem über ihre geschäftlichen Sorgen sprechen können. Anstatt einzugestehen, daß sie gescheitert sei, wollte sie lieber sterben. Sieben Jahre wegen Totschlags hielt die Anwältin für „tat- und schuldangemessen“.
Die Angeklagte hatte das letzte Wort. „Ich kann mir das nicht erklären“, sagte sie mit zittriger Stimme. Bei den Plädoyers war sie immer wieder in Tränen ausgebrochen. „Ich weiß ja selbst nicht mehr, was da passiert ist. Ich weiß nur, daß ich es bereue. Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen. Ich wollte ihr nie was Böses.“ Das Urteil soll Freitag verkündet werden.
Kerstin Schneider
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