: Atomlobby gegen Ökosteuer, Autolobby gegen Tempolimit
■ Rot-Grün bekommt Gegenwind von den üblichen Verdächtigen. BMW sieht uns mit einem Tempolimit in der „Steinzeit“, VW spricht von „grünem Schildbürgerstreich“
Berlin (taz/AFP/dpa) – Angesichts des Tempos der rot-grünen Koalitionsverhandlungen kommen die Lobbyisten der Wirtschaftsverbände, der Atomindustrie und der Automobilbranche kaum noch mit dem Protestieren nach. Während die Verhandlungskommissionen von SPD und Bündnisgrünen gestern in Bonn versuchten, sich auf gemeinsame Positionen zu Fragen des Atomausstiegs, des Tempolimits und der Ökosteuer zu verständigen, mühten sich die diversen Verbandsvertreter allzu entschiedene Reformen abzuwenden. Zwar hatten die Vertreter von SPD und Bündnisgrünen bis zum frühen Sonntagabend noch keine Ergebnisse vorgelegt, doch nahmen die Wirtschaftsfunktionäre die rot-grünen Pläne offenbar ernst genug, um am Wochenende ihre prominentesten Köpfe bereits präventiv vor die Mikrophone zu schicken. Mit Warnungen vor einem Tempolimit meldeten sich zu Wort die Vorstandsvorsitzenden von VW, Porsche und BMW sowie der Pkw- Vorstand von Daimler-Benz. Gegen die Ökosteuer sprachen sich der Präsident des Bundes der deutschen Industrie (BDI) aus sowie der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Präsident des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel. In der Frage eines Ausstiegs aus der Kernenergie haben sich die Spitzen der deutschen Elektrizitätswirtschaft einem internen Positionspapier zufolge auf eine gemeinsame Position für Energiekonsensgespräche mit der künftigen rot-grünen Bundesregierung verständigt.
Am schärfsten formulierten die Chefs der Automobilkonzerne ihre Proteste. Der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG, Ferdinand Piäch, nannte im Focus das Tempolimit einen „grünen Schildbürgerstreich, weil es wirtschaftlich desaströs wirkt und ökologisch nichts bringt“. Ein Tempolimit schaffe Arbeitsplätze nur in Italien, Frankreich und Süd-Korea. Der BMW-Vorstandschef Bernd Pischetsrieder sagte, ein Tempolimit wäre in Zeiten flexibler elektronischer Verkehrsregelung „eine Maßnahme aus der Steinzeit“.
Im Vergleich dazu ist die Position der Energiewirtschaft deutlich versöhnlicher. Der Chef der Energie Baden-Württemberg, Gerhard Goll, plädierte im Focus für Energiekonsensgespräche ohne Vorbedingungen. Goll sagte, der Dialog sollte möglichst bald beginnen. „Wir müssen einen Konsens suchen und dürfen nicht vorab auf Konfrontationskurs gehen.“
Das Konfliktpotential scheint derzeit unverändert zwischen den Koalitionspartnern. Die SPD hält die Pläne der Grünen zum Atomausstieg für rechtlich nicht haltbar. Das geht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung aus einem vertraulichen Gutachten der SPD-Bundestagsfraktion hervor. Die Grünen wollen möglichst innerhalb von fünf Jahren alle Atomkraftwerke ohne Entschädigungen für die Industrie abschalten. Dazu soll möglichst schnell ein Ausstiegsgesetz beschlossen werden. pat
Tagesthema Seite 3, Bericht Seite 5
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