■ Querspalte: Schilys Musikschule
Die Umgangsformen in Bonn haben sich geändert: Der neue Chef und seine Minister geben sich locker, ironisch und kulturbeflissen. Gerhard Schröder hat sogar die Scorpions zu Kanzlerrockern ernannt. Nach deren altem Hit schreiben die Journalisten jetzt vom „Bonner Wind of Change“. Und der Wechselwind bläst dieser Tage ohne Pause, vor allem im Blätterwald. Besonders herbstlich wird es in der Woche, der Süddeutschen und der taz. Viele schöne, bunte Blätter weht der Wechselwind direkt aus den Ministerien auf die Zeitungsseiten, die sechzehn Jahre lang so grau waren.
Ein besonders schönes Blatt kommt von Otto Schily: „Wer Musikschulen schließt, schadet der Inneren Sicherheit“, meinte Schily. Fällt der Unterricht aus, dann packt der junge Musikus statt seinem Instrument das Maschinengewehr in den Geigenkasten und geht Schutzgeld erpressen. Und gibt es ein Mittel, Asylbetrügern den Aufenthalt hier zu vermiesen, dann das ständige Singen von deutscher Volksmusik. So etwas Profanes hat der Innenminister natürlich nicht gemeint. Schily deutete vielmehr sanft an, die Zuständigkeit für Kultur läge nun nicht mehr bei ihm, sondern beim neuen Sonderbeauftragten für Schöngeistiges im Kanzleramt. Das ist ungerecht, findet Schily und ruft: Auch ich bin ein Schöngeist. Ein Anthroposoph im Innenministerium gar.
Doch auch Manfred Kanther war kein Kulturbeutel. Sein musisches Talent hat er oft bewiesen, nicht selten im Duett mit Schily. Sie haben nicht nur gemeinsam das Gesetz zum Abhören von illegalem Musizieren in Wohnungen organisiert, sondern auch das Polizeiorchester „Bundesgrenzschutz“ erstmals auch innerhalb Deutschlands auf Dauertournee geschickt. Über musische Anlagen von Straftätern gibt bald die Gen-Datei Auskunft. Kanther und Schily sind sich einig: Im starken Staat darf auch gesungen werden. Da mag der „Wind of Change“ als Sturm im Blätterwald toben, dies deutsche Lied übertönt er nicht: im Gleichschritt zur Musikschule, Schily gibt den Takt an. Robin Alexander
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