: Schröder baut Türken für die Kurden
■ Um den „inneren Rechtsfrieden“ zu sichern, will Bonn endgültig auf die Auslieferung des PKK-Chefs Öcalan verzichten. Deutschland und Italien fordern ein internationales Gericht, dessen rechtliche Grundlagen völlig unklar sind
Bonn (taz) – Die Bundesregierung wird keinen Antrag auf Auslieferung auf Auslieferung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan stellen. Statt dessen soll Öcalan vor einem europäischen Gerichtshof der Prozeß gemacht werden. Das vereinbarten gestern Bundeskanzler Schröder und der italienische Ministerpräsident D'Alema in Bonn. Einziges Problem: Ein solches Gericht gibt es bisher nicht.
Beide Regierungschefs wollen ihre Außenminister anweisen, mit Gesprächen zur Schaffung eines internationalen Gerichtshofs zu beginnen. Details konnte Schröder nicht nennen, angestrebt ist aber ein europäisches Gremium, bei dessen Konstituierung auch andere europäische Länder und internationale Organisationen eingebunden werden sollen. Ziel sei eine friedliche Lösung des Konflikts in der Südosttürkei, sagte D'Alema. Der „Fall Öcalan“ sei „kein deutsches oder italienisches, sondern ein europäisches Problem“, sagte Schröder. Bei einer politischen Lösung dürfe die territoriale Integrität der Türkei nicht in Frage gestellt werden, ebenso müßten die Rechte von Minderheiten geschützt werden.
Für den italienischen Ministerpräsidenten war das erkennbar nur die zweitbeste Lösung. Massimo D'Alema hatte Gerhard Schröder eigentlich bewegen wollen, endlich die Auslieferung Öcalans zu beantragen, der vor zwei Wochen wegen eines deutschen Haftbefehls in Italien festgenommen worden war.
Diesem Wunsch entsprach Gerhard Schröder nicht. Eine Auslieferung Öcalans und ein Prozeß gegen ihn in Deutschland würden „eine empfindliche Störung des Rechtsfriedens“ nach sich ziehen, erklärte der Bundeskanzler. Der Konflikt zwischen Türken und Kurden könnte auf deutschem Boden ausgetragen werden. „Diese Situation existiert so nirgendwo in Europa“, glaubt Schröder. Er wies darauf hin, Deutschland sei „das Land mit den meisten kurdischen Flüchtlingen und den meisten türkischen Mitbürgern“.
D'Alema konnte diesen Ausführungen wohl nur bedingt zustimmen: „Ich muß zur Kenntnis nehmen, daß die deutsche Regierung nicht beabsichtigt, einen Auslieferungsantrag zu stellen.“ Seine Aufgabe sei es nicht, „Probleme des Rechtsfriedens in Deutschland zu beurteilen“. Auch in Italien würden allerdings „täglich Hunderte kurdischer Flüchtlinge ankommen“.
Bis zum 22. Dezember bleibt Öcalan wegen des deutschen Haftbefehls unter der Obhut der italienischen Polizei. „Ich hoffe, daß bis dahin ein Ausweg gefunden wird“, so D'Alema. In Italien gebe es keine Strafverfolgung gegen ihn, betonte der italienische Regierungschef. Auf die Frage, ob Öcalan freigelassen werden müsse, wenn bis zum 22. Dezember kein internationales Gericht geschaffen ist, antwortete Bundeskanzler Schröder: „Darüber denke ich nicht nach.“
Wenig Chancen räumen Rechtsexperten der Einrichtung eines europäischen Gerichtshofs ein. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg ist für Strafverfahren nicht zuständig. Ein solches neugebildetes Tribunal könne nicht nur die Mordvorwürfe gegen Abdullah Öcalan verfolgen, sondern müßte „den ganzen Kurdenkonflikt in der Türkei“ untersuchen, sagte der Völkerstrafrechtler Kai Ambos der taz. Dies aber bedinge, daß auch mögliche Völkerrechtsverletzungen der Türkei im Kurdenkonflikt zur Sprache kommen müßten. „Die Türkei hat nicht einmal für die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs gestimmt“, so Ambos. Daß türkische Menschenrechtsverletzungen gemeinsam mit den Vorwürfen gegen Öcalan verhandelt werden, würde zwangsläufig am Veto der Türkei scheitern, so Experten.
Die Absage eines Auslieferungsbegehrens gegen Öcalan wertete Ambos als „Eingeständnis, daß die öffentliche Sicherheit nicht zu garantieren ist, wenn Öcalan hier vor Gericht steht“. Deshalb, so der Völkerstrafrechtler, hätte man das Verfahren „eigentlich auch gleich einstellen können“. Robin Alexander
Tagesthema Seite 3
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