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KommentarDiskrete Normalität

■ Das Projekt der Videoüberwachung jüdischer Friedhöfe in Berlin

Soll man die jüdischen Friedhöfe in Deutschland per Video überwachen, um Grabschänder abzuschrecken bzw. leichter dingfest zu machen? Klaus Böger, SPD-Fraktionschef in Berlin, hat Zweifel, ob das bei Friedhöfen der richtige Weg sei. Ihn beschleiche bei diesem Vorschlag „ein eher gespenstisches Gefühl“. Heike Rudert, Chefin der Berliner Kripobeamten, sieht weniger Gespenster als praktische Probleme. Zuviel Aufwand, Erfolgschancen ungewiß. Außerdem würden „die jüdischen Mitbürger“ dadurch „in eine Außenseiterrolle“ gedrängt.

Womit wir wieder beim Thema deutscher Normalität angelangt wären. Mein Gott. Wie gerne sähen wir den Polizeischutz von der Synagoge an der Oranienburger Straße abgezogen und die Sicherheitsschleusen abgebaut, die wir beim Vortrag jedes prominenten Gastes der Jüdischen Gemeinde zu passieren haben. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Wenn wenigstens das Ministerium für Staatssicherheit noch existieren würde. Dann hätten wir die Provokateure am Wickel, die durch Attentate gegen jüdische Gräber das Ansehen der Bundesrepublik in den Dreck ziehen wollen. Letzter Hoffnungsschimmer: Die Bombenleger an Galinskis Grab waren Ossis, mithin aus dem Kreis der ganz normalen Deutschen ausgeschlossen.

Wir sind dieser Tage belagert von Normalitätsdiskursen. Hört mit dem Mißmut auf, Ewiggestrige, freut euch doch ein bißchen, Deutsche zu sein, APO-Opas, seid ihr nicht endlich, endlich, nach dem 27. September, am Ziel, an der deutschen Normalität, angelangt? Antisemitismus, Ausländerhaß – das gibt's zugegebenermaßen, das sind anomische Erscheinungen, zwangsläufige Folgen der gesellschaftlichen Entwicklung, in allen Industriegesellschaften anzutreffen. Bei euch aber werden sie aufgeblasen zu Figuren eures unglücklichen Bewußtseins, nur dazu gut, damit ihr an eurem end- und kraftlosen „Nicht versöhnt!“ festhalten könnt.

Diese nicht abreißende Normalitätsrede hat etwas Pathologisches an sich. Sie wirkt wie eine Art zwanghafter Selbstversicherung. Laßt uns die Polizeistreifen vor den jüdischen Friedhöfen abziehen und durch Kameras ersetzen. Gut versteckt, damit alles normal aussieht. Aber doch allgegenwärtig, die Totenruhe der „jüdischen Mitbürger“ lückenlos überwachend. Ganz normal. Christian Semler

Bericht Seite 15

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