: Der Abenteuerurlaub endete tödlich
Bei dem Versuch, 16 im Jemen entführte Touristen zu befreien, werden vier der Geiseln getötet. Es ist die erste politisch motivierte Entführung von Ausländern in dem Land. Die Kidnapper sind militante Islamisten ■ Von Karim El-Gawhary
Kairo (taz) – Bisher liefen die meisten Entführungen von Ausländern im Jemen eher unter der Rubrik „Abenteuerurlaub“. Um Leib und Leben der Entführten mußte man sich selten sorgen. Damit ist es seit Dienstag vorbei. Ihre Urlaubsreise wurde für die am Montag entführten 16 Briten, US- Amerikaner und Australier zum Alptraum. Vier von ihnen haben die von jemenitischen Sicherheitskräften durchgeführte gewaltsame Befreiungsaktion nicht überlebt. Die anderen berichten von Horrorszenen: Die Entführer hätten ihnen Pistolen an die Schläfen gehalten und mit der Ermordung gedroht.
Großbritannien und Australien forderten gestern eine lückenlose Aufklärung des Entführungsfalles. Die britische Regierung wäre „sehr betroffen“, falls sich herausstellen sollte, daß ihre Bitte um eine gewaltfreie Lösung ignoriert worden sei, erklärte das Außenministerium in London. Die jemenitische Regierung hat das Vorgehen ihrer Sicherheitskräfte gerechtfertigt. Das Innenministerium in Sanaa hatte mitgeteilt, die Entführer hätten drei ihrer 16 Geiseln getötet und seien im Begriff gewesen, auch die restlichen umzubringen. Um das zu verhindern, hätten die Sicherheitskräfte das Versteck der Geiselnehmer gestürmt.
Eine neue Qualität stellt auch der politische Hintergrund der Entführung dar. Eine Gruppe militanter Islamisten hatte mit der Aktion versucht, einen ihrer im jemenitischen Gefängnis einsitzenden Führer freizupressen. Bei den Entführern handelt es sich um Mitglieder des jemenitischen Dschihad, einer Gruppe militanter Islamisten, die aus ein paar hundert Kämpfern besteht. Anfang der 90er gegründet, rekrutierte sich die Gruppe hauptsächlich aus Rückkehrern aus Afghanistan, die in den arabischen Freiwilligenverbänden mit Unterstützung des US- Geheimdienstes CIA gegen die sowjetischen Truppen gekämpft hatten. Nach ihrer Heimkehr Anfang der 90er Jahre entwickelte sich der schwer kontrollierbare Jemen zu etwas ähnlichem wie heute Afghanistan: ein Rückzugsgebiet für militante Islamisten. Andere arabische Regierungen fürchteten zu der Zeit, daß vom Jemen aus Aktionen militanter Islamisten in anderen Teilen der arabischen Welt geplant würden. Damals hatten die arabischen Geheimdienste ein besonderes Auge auf die jemenitischen Islamisten. Doch am Ende bewahrheitete sich diese Befürchtung nicht. Der jemenitische Dschihad spielte nur innenpolitisch eine Rolle, etwa im letzten Bürgerkrieg 1994 zwischen Nord- und Südjemen. Damals griffen die gut ausgebildeten islamistischen Kämpfer auf Seiten des Nordens gegen den „ungläubigen sozialistischen Süden“ ein.
Die letzte Entführung hat, sowohl was ihren politischen Hintergrund als auch ihre Brutalität angeht, wenig mit den bisherigen Entführungsfällen zu tun. In den zurückliegenden fünf Jahren wurden etwa 150 Ausländer in dem Land vorübergehend verschleppt. Fast alle kamen unverletzt frei.
Entführungen sind Teil des Verteilungsprozesses des bescheidenen jemenitischen Reichtums. Ein Politologe im Jemen nannte das einmal „ein besonders eigentümliches Kommunikationsmittel zwischen den Stämmen und der Zentralregierung“. Wenn ein Stamm auf seinem Gebiet eine neue Straße, eine Schule oder ein Krankenhaus wünschte, entführten seine Mitglieder kurzerhand ein paar Ausländer, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Entführten wurden eher als Gäste behandelt, zu deren Ehren schon mal ein paar Hammel ihr Leben lassen mußten. Die Mitglieder einer vor ein paar Jahren entführten französischen Reisegruppe merkten so erst bei ihrer Freilassung, daß sie gekidnappt worden waren.
In den letzten Jahren wurden derartige Aktionen im Jemen eher als Kavaliersdelikt abgetan, schließlich kam niemand dabei zu Schaden. Dieses Jahr hat die Regierung den Druck auf Entführer allerdings ein wenig erhöht, zumal sich einige der Stämme als wahre Entführungsprofis entpuppten und die Regierung um das Image des Landes fürchtete. Wiederholungstätern oder im Falle, daß einer der Entführten verletzt oder gar umgebracht wird, droht seit August die Todesstrafe.
Unklar bleibt, wie sich das blutige Ende dieser Entführung auf das Schicksal der seit über drei Wochen verschleppten vier Deutschen auswirkt. Dort handelt es sich um einen klassischen Fall von Stammesentführung ohne politisches Motiv. Dennoch ist es den benachbarten Stämmen, die von der Regierung mit der Vermittlung beauftragt wurden, nicht gelungen, die Verhandlungen zum Erfolg zu bringen. Hauptstreitpunkt scheint das Strafmaß für die Entführer zu sein. Jemens Präsident Ali Abdallah Saleh steht bei den deutschen Behörden im Wort, diesen Fall nicht mit Gewalt zu lösen. Doch die mißratene Befreiungsaktion hat die Atmosphäre verschlechtert. Wahrscheinlich sind alle Beteiligten jetzt noch nervöser geworden.
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