: CDU-Kampagne geistig außerhalb der Verfassung
■ Innensenator Ralf Borttschellers Satz, daß, wer deutscher Staatsbürger werden will, sich „uneingeschränkt für diesen Staat, dieses Volk und seine Kultur entschieden haben“ muß, hätte vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe keine Chance
In einem Gastkommentar für den Weser Report hat der Bremer Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) am Sonntag die üblichen, gleichwohl von der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland nicht gedeckten Gründe gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft formuliert: „Von allen, die deutsche Staatsbürger werden wollen, müssen wir auch in Zukunft erwarten können, daß sie sich integrieren und uneingeschränkt für diesen Staat, dieses Volk und seine Kultur entschieden haben“, schreibt Borttscheller. Und weiter: „Rechnet sich ein Doppelstaatler wirklich dieser Gesellschaft zu, oder spielt er die Staatsangehörigkeit bei Bedarf als Trumpf aus?“
Hinter diesen Sätzen steht unverkennbar die Auffassung vom deutschen Staatsvolk als einer kulturell homogenen nationalen Einheit, über die der Staat zu wachen habe. Wenn von dieser CDU-Position aus von Integration geredet wird, dann meint das schlicht Assimilation. Da die gemeinte Kultur für die CDU nicht nur eine christlich geprägte, sondern eine christliche Kultur ist, müßte jeder, der sich „für dieses Volk und seine Kultur“ entscheidet, seine angestammten kulturellen Wurzeln abschneiden und z.B. eine muslimische Religiosität aufgeben. Jemand, der in Deutschland geboren ist, hier in dieser Gesellschaft leben will, gleichwohl wesentliche Bindungen zu seiner etwa in der Türkei lebenden weiteren Familie, seine kulturellen Bräuche und seine Religiosität aufrechterhalten will, sich also in der Türkei nicht als Fremder, als Ausländer betrachtet wissen will, würde unter die Kategorie derer fallen, die nur „die (zweite, deutsche – die Red.) Staatsangehörigkeit bei Bedarf als Trumpf“ ausspielen wollen. Diese Haltung ist realitätsfern, insofern sie die in Deutschland geborene Generation von jungen Türken schlicht weg-denkt, ignoriert. In einer Zeit, in der eingegrenzte nationale Kultur-Identitäten sich europäisch ausweiten, klammert sich die CDU-Kampagne gleichzeitig an nationale Vorstellungswelten des 19. Jahrhunderts, die auch verfassungsrechtlich längst überwunden sind. Dies hat das Bundesverfassungsgericht 1974 in seinem Urteil zur „doppelten Staatsbürgerschaft“ von Kindern aus gemischt-nationalen Ehen eindeutig formuliert: „Die früher vorherrschende und zum Teil jetzt noch anzutreffende Vorstellung, es handele sich bei der Zuerkennung der Staatsbürgerschaft um eine Abgrenzung des Staatsvolkes unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten, die der Staat nach seinem Ermessen ... vornehmen könne, entspricht nicht dem Verständnis des demokratischen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes“, schrieben die Verfassungsrichter 1974. In einem demokratischen Rechtsstaat verlaufe die „Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin“. Im Falle der doppelten Staatsbürgerschaft von Kindern aus gemischt-nationalen Ehen hatte schon Reichs- und Staatsangehörigkeits-Gesetz von 1913 bestimmt, daß jedes dieser Kinder automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit hat – vollkommen unabhängig davon, ob es im deutschen Kulturbereich aufwächst, also überhaupt dieser Gesellschaft zugerechnet werden kann. Geschweige denn war Borttschellers Satz ein Kriterium, ob sich das Kind „uneingeschränkt für diesen Staat“ entschieden hat. Umgekehrt: Der Staat hatte sich uneingeschränkt für diese Kinder entschieden, egal welche Religion sie annahmen, und ob sie sich vielleicht in der Kultur des nichtdeutschen Ehepartners mehr zu Hause fühlten. Dieses Prinzip war 1913 auf das Kind beschränkt, dessen Vater die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. In den 50er Jahren hatte sich der deutsche „CDU-Staat“ dagegen gewehrt, dieses Staatsbürgerschafts-Recht auch auf den Fall zu beziehen, daß die Mutter den deutschen „Anteil“ in der gemischt-nationalen Ehe darstellte. Das Verfassungsgericht erinnerte die Bundesregierung in dem zitierten Urteil von 1974 daran, daß im Grundgesetz von 1949 die Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz verkündet worden war. Und das Verfassungsgericht sah dabei sehr wohl, daß nach der Zahl das Problem „von erheblicher Bedeutung“ war: 3,5 Prozent der Eheschließungen in Deutschland waren schon damals gemischt-national, wie das Gericht feststellte. In Großstädten darf man heute getrost eine Quote von über zehn Prozent annehmen, in Berlin ist der Anteil gemischt-nationaler Ehen sogar auf 26 Prozent angestiegen. Wenn man berücksichtigt, daß jedes Kind eines Elternteils mit doppelter Staatsbürgerschaft auch automatisch in beiden Staaten das Recht auf einen Paß bekommt, dann ist klar: Das „Problem“, wenn es denn eines ist, wächst mit den Generationen erheblich. „Der inneren Beziehung des freien Bürgers zu einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen entspricht es, daß seine Staatsbürgerschaft als grundsätzlich unentziehbar gewährleistet wird ...“, schrieb das Verfassungsgericht 1974. Und es geht einen Staat grundsätzlich nichts an, wenn dieser oder jener auch eine andere Staatsbürgerschaft hat – es wird danach sogar bei der Ausstellung eines Passes nicht gefragt. Die Französin Delphine Brox, die durch ihre gemischt-nationale Eheschließung auch die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte, konnte lange in Deutschland als Deutsche leben und sogar das passive Wahlrecht ausüben – sie saß eine Legislaturperiode im Bremer Landtag – und sie kann sich heute, wieder in Frankreich lebend, als Französin „zu Hause“ fühlen, ohne um ihre deutsche Staatsangehörigkeit fürchten zu müssen. Es ist also unerheblich, ob jemand seine „zweite“ Staatsbürgerschaft einige Jahrzehnte de facto „nutzt“ und Rechte ausübt oder nicht, wo er leben will und ob die Staatsbürgerschaft mit kultureller Bindung ausgefüllt ist oder nur „Trumpf“ ist, wie Borttscheller abwertend schreibt. Solche Kriterien für die Abgrenzung des Staatsvolkes unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten entsprechen nicht dem Verständnis des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes. Klaus Wolschner
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