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■ Im Fall Mehmet hält sich das Bundesverfassungsgericht bedecktZurückhaltung und Überschwang

Zwei Entscheidungen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben: Gestern lehnte das Bundesverfassungsgericht die Klage des jugendlichen Serienstraftäters Mehmet ab, der damit weiter in der Türkei bleiben muß. Vorgestern ordnete Karlsruhe eine Besserstellung der Familien im Steuerrecht an.

Im Fall Mehmet übte Karlsruhe äußerste Zurückhaltung. Zum Fall selbst wird kein Wort gesagt. Es wird nur erklärt, was der Anwalt hätte tun müssen, damit die Klage nicht unzulässig gewesen wäre. Alles weitere wird erst einmal den bayerischen Verwaltungsgerichten überlassen.

Ganz anders am Tag zuvor: Im gestalterischen Überschwang änderte Karlsruhe die Grundfesten des Steuerrechts und verursachte damit dem Staat mal eben 20 Milliarden Mark Mehrkosten. Damit es auch wirklich nicht weniger werden, wurden dem Gesetzgeber vorsorglich noch alle Schlupflöcher verbaut und schließlich (für den Fall seiner Untätigkeit) bereits die konkrete Entlastung pro Familie festgelegt. Von Rücksichtnahme auf den Bundestag und seine Haushaltsverantwortung ist nicht das geringste zu spüren.

Offensichtlich gibt es in Karlsruhe keinen einheitlichen Stil. Von vornehmem Respekt gegenüber den anderen Staatsinstanzen bis zur größten Selbstherrlichkeit ist alles möglich. Wobei die Selbstherrlichkeit überwiegt, wenn die „schwarze Eminenz“ des Gerichts, der Richter Paul Kirchhof, die Feder führt. Aber es handelt sich nicht nur darum, welcher Richter in Aktion tritt. Natürlich ist es auch populärer, den deutschen Familien unter die Arme zu greifen, als einem türkischen Kleinkriminellen zum Recht zu verhelfen.

So aber läßt man Mehmet von der Türkei aus erst einmal den bayerischen Rechtsweg durchlaufen. Zur Sache wird dann erst entschieden, wenn der Fall – in einigen Jahren – wieder in Karlsruhe landet. Denn das ist heute schon absehbar. Schon im Eilverfahren haben es die bayerischen Verwaltungsgerichte abgelehnt, die Rechtslücke zu stopfen, durch die Mehmet dann abgeschoben wurde: Zwar genießen Minderjährige einen besonderen Schutz gegen Ausweisung. Im Gesetz fehlt aber eine entsprechende Vorschrift für die Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Im Hauptverfahren wird man wohl kaum anders entscheiden. Irgendwann muß Karlsruhe deshalb diese Lücke füllen. Irgendwann – wenn es dem Gericht opportun erscheint. Christian Rath

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