: Erst nachdenken, dann gedenken
■ Auch ein Staatsminister für Kultur kann diese Debatte nicht so einfach beenden. Der jüngste Entwurf für das Holocaust-Mahnmal in Berlin wird nicht einfach vom Bundestag verabschiedet und anschließend gebaut. Das Parlament will erst über die Entscheidung entscheiden. Das kann dauern.
Mit der Zerschlagung des Gordischen Knotens ließ sich Weltruhm gewinnen, und diese Tatsache hat seit der Antike viele Nachahmer beflügelt. Aber sie alle waren eben nicht Alexander der Große. Auch der Bonner Kulturbeauftragte Michael Naumann nicht. Außerdem ist nicht jeder Knoten ein gordischer, der sich zur Zerstörung eignet. Manch einer sollte besser entwirrt werden, auch wenn das weit mühsamer ist. Seit gestern steht fest: Die Diskussion über das Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas ist noch längst nicht zu Ende. Sie geht lediglich in die nächste Runde.
Dabei schienen einige Leitartikler der letzten Tage in der Abstimmung des Bundestages über den neuen Entwurf für die Holocaust- Gedenkstätte in Berlin nur noch eine Formsache zu sehen, die Naumann „mit voller Rückendeckung des Kanzlers“ ins Gespräch gebracht hat. Frohgemut verkündete der Staatsminister selber in einem Interview, nun sei eine Lösung gefunden worden, welche „die ganze zehnjährige Debatte zu einem angemessenen Ende führen wird“. Er glaube, daß dieser neue Vorschlag „alle Einwände, aber auch alle Hoffnungen von Gegnern des ursprünglichen Entwurfs aufnimmt und realisiert“.
Manche halten genau das für einen Teil des Problems. Durch den Versuch, alle Einwände wenigstens in Teilen zu berücksichtigen, könne die Gedenkstätte am Ende ihr eigentliches Ziel verfehlen, fürchtet Norbert Lammert, kulturpolitischer Sprecher der Unionsfraktion: „Ein Mahnmal, das nicht stört, ist eigentlich fast überflüssig.“ Er selbst sei für neue Vorschläge offen, betont der CDU-Politiker. Aber: „Das Bemühen, eine doch sehr lange Diskussion zum Abschluß zu bringen, ist ehrenwert. Andererseits hat der Eindruck einer ,Hoppla-jetzt-komm'- ich'-Methode zu zusätzlichen Belastungen im Kreis derjenigen geführt, die seit Jahren an dieser Diskussion beteiligt sind. Es gibt ja keine grundsätzlich neuen Gesichtspunkte.“
Zustimmung und Ablehnung verlaufen im Zusammenhang mit der geplanten Gedenkstätte nicht entlang den Parteigrenzen. Auch sind sich in Bonn die meisten einig, daß das Thema nicht für parteipolitische Zwecke mißbraucht werden darf. Der Fraktionszwang soll voraussichtlich aufgehoben werden. Wilhelm Schmidt, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD- Fraktion: „Die Abstimmung werden wir freigeben. Wir wissen aber noch nicht, worüber.“ Da gibt es in der Tat viele Möglichkeiten: Soll über den alten und den neuen Entwurf des Architekten Peter Eisenman abgestimmt werden? Oder über alle vier Entwürfe, die in die Endrunde des Wettbewerbs gekommen sind? Oder sollen die Abgeordneten lediglich über die grundsätzliche Frage entscheiden, ob und wo eine Gedenkstätte errichtet wird?
„Eines müssen wir verhindern: Der Bundestag darf nicht über Kunst entscheiden“, warnte Gregor Gysi auf der Sitzung der PDS- Fraktion. Das sieht Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) ähnlich: Das Parlament sei „kein geeignetes Gremium, ästhetische Fragen zu entscheiden“. Auch Norbert Lammert stimmt dem zu, gibt aber zu bedenken, derlei lasse sich „leichter als Prinzip formulieren als in der Praxis säuberlich abgrenzen“.
Es sieht so aus, als seien mit dem neuen Vorschlag viele neue Fragen aufgeworfen worden. Gestern hat erst einmal Wolfgang Thierse die Fraktionschefs zum Gespräch gebeten. Die Runde war sich schnell einig, daß vor einer parlamentarischen Entscheidung noch vieles geklärt werden müsse. „Dieses wichtige Thema“, so Thierse, solle „auf dem Konsenswege behandelt werden“. Vor einer abschließenden Parlamentsdebatte müßten sich zunächst die Auslober des Wettbewerbs für das Mahnmal einigen, also die Bundesregierung, das Land Berlin und der Förderkreis um die Fernsehjournalistin Lea Rosh. Dazu gehört auch eine Klärung der Frage, wie mit dem Wettbewerb selbst umgegangen wird. Thierse erwartet in diesem Zusammenhang einige „Rechtsprobleme“.
Es ist zweifelhaft, daß eine Entscheidung tatsächlich noch vor der Sommerpause fallen wird, zumal sich die Stimmen derjenigen mehren, die dem neuen Entwurf skeptisch gegenüberstehen. Lea Rosh hat bereits darauf hingewiesen, daß ein Gebäude in der Größenordnung der Naumann-Konzeption nicht Teil der Ausschreibung gewesen war. „Wir könnten nur sehr schwer damit leben, wenn das Denkmal am Ende ein Appendix des Museums wäre“, sagte sie als Gast vor der PDS-Fraktion. „In den Zeitungen lese ich immer von einem Kompromiß“, merkte ihr Mitstreiter Professor Eberhard Jäckel an. „Kompromiß zwischen wem eigentlich? Allenfalls zwischen dem, was Herr Naumann früher gesagt hat, und dem, was er heute sagt.“
Ähnlich sieht das FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt: „Es scheint, daß Staatsminister Naumann hier einen Kompromiß mit sich selbst gesucht hat, um seine anfänglich ablehnende Haltung zu modifizieren.“ Er sei hinsichtlich des neuen Vorschlags „skeptisch“.
Die Frage, ob die Gedenkstätte durch eine Bibliothek und Forschungseinrichtungen ergänzt werden soll, ist parteiübergreifend umstritten. Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen wittert in dem Wunsch nach didaktischer Begleitung „ein grundsätzliches Mißtrauen gegen Kunst und Ästhetik“. Dahinter stehe die Vorstellung, „die Leute müßten belehrt und erzogen werden“. Allerdings, so Beck, sei der Entwurf von einigen seiner Fraktionskollegen durchaus positiv aufgenommen worden.
Einen Schritt weiter ist die Diskussion allen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz in den letzten Tagen offenbar dennoch gekommen: Die „frohe Botschaft“ sei, so Lea Rosh, daß die Gedenkstätte als solche gewünscht werde und sich auch am vorgesehenen Standort befinden solle. Dahinter könne nun niemand mehr zurück. Bettina Gaus, Bonn
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