: Zwang zum Kompromiß
■ Im Bundesrat fehlt der Bundesregierung jetzt die Mehrheit für ihre Gesetzesvorhaben
Für die rot-grüne Bundesregierung wird es in Zukunft schwerer, ihre Gesetzesvorhaben durch den Bundesrat zu bringen. Nach der Landtagswahl in Hessen verliert die Koalition ihre Mehrheit von 38 Stimmen in der Länderkammer. Jedes Bundesland hat gemessen an der Einwohnerzahl zwischen drei und sechs Stimmen im Bundesrat. Insgesamt können 69 Stimmen abgegeben werden. Dem Bundesland Hessen stehen fünf Stimmen zu. Die fehlen jetzt der Bundesregierung.
In Schwierigkeiten könnte die Bundesregierung bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts kommen. Zwar ist dessen Änderung nach dem Grundgesetz allein Angelegenheit des Bundes. Die im Entwurf von Innenminister Otto Schily festgehaltenen Verfahrensvorschriften aber berühren Länderinteressen. Wenn die Regierung den Entwurf nicht in einen zustimmungspflichtigen und einen nichtzustimmungspflichtigen Teil splittet, kann der Bundesrat das Gesetz kippen.
Zustimmungspflichtig sind in jedem Fall die von der Regierung geplanten Änderungen des Steuerrechts, angefangen bei der Ökosteuerreform bis zur Neuordnung der 630-Mark-Arbeitsverhältnisse. Uneinig sind sich die Experten, ob zudem die Atomrechtsnovelle vom Votum des Bundesrats abhängig ist. Ein Sprecher des Umweltministeriums sagte gestern, man könne nicht „automatisch“ davon ausgehen, daß die von Minister Trittin vorgelegte Novelle die Interessen der Länder „nicht berührt“. Möglicherweise also muß für den Atomausstieg eine Kompromißlösung gefunden werden.
Obwohl SPD und Grüne ihre Mehrheit im Bundesrat verloren haben, bleiben beide Parteien zusammen stärkste Kraft in der Länderkammer. Die CDU-geführten Länder können mit Hessen nur 22 Stimmen für sich verbuchen. Elf Stimmen sind in Berlin, Bremen und Thüringen gebunden. Hier regieren Große Koalitionen. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, daß sich diese Länder bei strittigen Themen der Stimme enthalten. Zünglein an der Waage könnte Rheinland-Pfalz werden. Hier regiert die einzige sozialliberale Koalition im Land. Rheinland-Pfalz hat vier Stimmen im Bundesrat. Das würde reichen, um Gesetze auch gegen den Willen der CDU- regierten Länder durchzudrücken. Im Vermittlungsausschuß behält Rot-Grün seine Mehrheit. Bei zustimmungspflichtigen Gesetzen ist das aber nebensächlich. Hier muß der Bundesrat seinen Segen geben, sonst scheitert ein Gesetzesvorhaben. Thorsten Denkler, Bonn
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