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„Wir müssen Kurs halten“

■ Der Schock sitzt tief bei den Bündnisgrünen. Das Wahldebakel in Hessen wirft die Frage auf, welche Konsequenzen die Partei innerhalb der Bonner Koalition aus der Niederlage zieht. Auf dem grünen Parteirat gestern in Bonn schien es weniger um Gemeinsamkeiten mit dem großen Koalitionspartner SPD als vielmehr um die Schärfung der eigenen Position zu gehen

Das war ein richtiges Erdbeben“, sagt die Bundestagsabgeordnete Claudia Roth. Jetzt erst einmal ausführlich über das Wahldebakel von Hessen reden. „Bitte nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Da besteht keine Gefahr. Die erste reguläre Sitzung des Parteirats von Bündnis 90/Die Grünen in Bonn steht an diesem Montag morgen ganz im Zeichen des Schocks über die unerwartete Niederlage. Die Verbitterung und Enttäuschung ist den meisten ins Gesicht geschrieben: „Wer bei dem Thema Staatsbürgerschaft nicht begriffen hat, daß er zur Wahl gehen muß...“ Nein, mehr will Schatzmeister Dietmar Strehl nicht sagen. Bloß keine Wählerbeschimpfung.

Vielen Mitgliedern des neuen Gremiums, das die verschiedenen Ebenen der Partei besser miteinander vernetzen soll, schwante schon länger, daß den Grünen derzeit der Wind ins Gesicht bläst. „Fast tribunalartig“ sei kürzlich die Atmosphäre auf einer von Umweltverbänden organisierten, ungewöhnlich gut besuchten Veranstaltung in Ausgsburg gewesen, erzählt Claudia Roth. „Hört auf zu beschönigen, was man nicht erreicht hat!“ habe die unmißverständliche Botschaft derer gelautet, die sich an der Diskussion beteiligten.

Die Abgeordnete geht mit den eigenen Leuten hart ins Gericht. Für sie stehen die Ursachen der Wahlniederlage fest: „Erstens wird viel zu wenig von der Regierung in die Fraktion und von Bonn insgesamt in die Partei hinein kommuniziert. Zweitens sind die Leute viel zu eigenständig im Denken, so daß man ihnen Niederlagen nicht als Erfolge verkaufen kann.“

Mit dieser Ansicht steht die Abgeordnete nicht alleine da. Vielen Mitgliedern ist es offenbar aufgestoßen, daß aus Bonn gelegentlich auch das als frohe Kunde verbreitet wird, was andernorts als schwerer Rückschlag für die eigene Linie gewertet wird. „Wenn die Niederlagen einstecken, dann sollen sie Niederlagen auch so nennen und nicht das Grundübel der meisten Politiker übernehmen, Niederlagen in Erfolge schönzureden“, beschreibt Rebecca Harms aus Niedersachsen die Stimmung in ihrem Landesverband.

Das Problem sei nicht, daß man in einer Koalition auch mit Kompromissen leben müsse, findet die Parteivorsitzende Antje Radcke: „Das Problem ist, daß wir teilweise so getan haben, als würden wir das, was als Kompromiß herausgekommen ist, auch noch gut finden. Das sollten wir nicht tun, weil wir uns damit unglaubwürdig machen.“ Vor allem der überraschende Kurswechsel beim ursprünglich angepeilten Verbot der atomaren Wiederaufarbeitung stieß bei der Basis auf Kritik. „Nach dem Ergebnis der Konsensgespräche war die Unzufriedenheit in den Landesverbänden ziemlich groß, daß wir uns so schnell an diesem Konsens beteiligt haben“, berichtet Radcke. Es müsse der Eindruck vermieden werden, daß „das erste Treffen genügt, und wir knicken ein“.

Aber es gibt auch Stimmen, die diese Erklärungen für die hessische Niederlage für falsch halten. Die Berliner Fraktionsvorsitzende Renate Künast glaubt nicht, daß „Schönrednerei“ die Ursache für das Debakel gewesen sei. „Dann wären die Verluste bei den 40jährigen größer gewesen.“ Sie weist darauf hin, daß die Grünen vor allem bei den Wählern der jüngeren Generation erheblich an Stimmen eingebüßt haben. Die sei nicht mit der Anti-AKW-Bewegung aufgewachsen. „Die Jugendlichen haben andere Sorgen als die 40jährigen. Deren Frage lautet: Was haben wir in dieser Gesellschaft für Perspektiven? Was die Grünen da anbieten, ist stark verbesserungsfähig.“

Was für Konsequenzen zieht die Partei nun innerhalb der Koalition aus dieser Niederlage? Da scheinen die Meinungen eher geteilt zu sein – über Strömungsgrenzen hinweg. Während Cem Özdemir vom realpolitischen Flügel schon kurz nach der ersten Hochrechnung mehr „grünes Profil“ angemahnt hat, läßt Fraktionschef Rezzo Schlauch, ebenfalls ein „Realo“, erkennen, daß er darin keine Lösung sieht. Er warnt vor „Schuldzuweisungen“. Es gehe jetzt nicht darum, Projekte der Grünen oder der SPD in den Vordergrund zu stellen, sondern darum „daß man gemeinsam den Erfolg braucht“.

Der Mehrheit allerdings scheint es im Augenblick weniger um die Betonung der Gemeinsamkeiten mit dem sozialdemokratischen Koalitionspartner als vielmehr um die Schärfung der eigenen Position zu gehen. Es sei nicht gut, wenn in einer Koalition „der Juniorpartner sich immer an den Vertrag halten muß und der Seniorpartner nur, wenn er will“, meint der politische Geschäftsführer Reinhard Bütigkofer. „Es liegt kein Segen auf einer Strategie, die heißt: Die SPD entscheidet, und die Grünen bekommen es irgendwann über die Medien mitgeteilt.“

Noch knapper formuliert es Fraktionschefin Kerstin Müller: „Wir müssen Kurs halten. Das Schlimmste, was wir jetzt machen können, ist wegducken.“ Bettina Gaus, Bonn

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