Nur die Türkei fehlt

■ Perfektion des Nutzwerts: Mit "billiger-telefonieren" gibt es jetzt eine Zeitschrift, die ein einziger Serviceteil ist

Was wollen die Menschen? Glück? Liebe? Maoam? Weit gefehlt. Billiger telefonieren wollen sie, und dann: noch billiger telefonieren; am besten jedoch: kostenlos telefonieren – und sich dann am Telefon darüber unterhalten, wie verdammt billig sie gerade telefonieren. Viele Tageszeitungen und viele Zeitschriften, beseelt vom Servicegedanken und im Wissen um die Schnäppchensucht ihrer Leser, drucken deshalb seit dem Fall des Telekom-Monopols Hitlisten der günstigsten Telefonanbieter ab, auf daß der Leser sie ausschneide, neben das Telefon lege und telefonierend eine Menge Geld spare.

Die neue Zeitschrift billiger-telefonieren, vierfarbig, 32seitig und monatlich zum Preis von einer Mark im kleinen Duisburger Brieden-Verlag erscheinend, geht diesen Weg konsequent zu Ende: Die Zeitung zum Telefon hat keinen Serviceteil. Sie ist ein einziger Serviceteil. Würde man alle 124 darin verbreiteten Tariflisten (von Ägypten bis Zypern) und Anbieteradressen ausschneiden und neben sein Telefon legen, man fände den Hörer unter all den Schnipseln nicht mehr. Und von der billiger-telefonieren-Zeitschrift bliebe nur noch ein trauriger Rest, ein klappriges Skelett. Dessen Einzelteile pinnen wir uns dann beispielsweise über das Telefon an die Wand: Links die „Kurze Anleitung fürs billige Telefonieren – jetzt sofort!“ Rechts „Sofort sparen – in 3 Schritten“ und in die Mitte „Billiger telefonieren: So funktionieren die Tabellen“. Die Seite „Internet Ruck Zuck – billig, schnell und einfach!“ wird an den Computermonitor gepappt. Und die mäßig komische Glosse „Ein Hoch auf das Telefon“ studieren wir, wenn bei unserem potentiellen Gesprächspartner belegt ist. Eine Zeitschrift, die so tut, als wäre billig zu telefonieren alles in der Welt.

Mit 114.000 gedruckten Exemplaren ist der Miniverlag, der auch noch eine Hochglanzversion namens 0-800 telecommunication (da dreht's sich um umsonst telefonieren) herausgibt, mit billiger-telefonieren in der ersten Ausgabe an den Start gegangen. Diese scheint sich bereits gut zu verkaufen: „Obwohl wir noch keine harten Zahlen haben, sehen wir am Rücklauf, daß wir den Nerv der Leute getroffen haben.“ sagt Tim Mois, erst 24 Jahre alt. Gemeinsam mit Thilo Salmon, 27, betreibt der BWL-Student aus einem Studentenwohnheimzimmer in Düsseldorf die Firma Netzquadrat. Seit einiger Zeit sind die beiden Jungunternehmer im Internet (www.billiger-telefonieren.de) mit einer täglich aktualisierten Gebührenübersicht erfolgreich. Was vor ungefähr einem Jahr als Studentenprojekt für Freunde und Bekannte begann, hat sich schnell zum lukrativen Geschäft entwickelt: auf der Homepage gibt es Werbung zu sehen, und daran verdient die Firma Netzquadrat.

Die neue Zeitung „soll das Internet-Angebot stützen und ist für die Leute gedacht, die keinen Internetanschluß haben.“ Verlieren sie mit ihrer Monatsschrift nicht den größten Vorteil des elektronischen Mediums, die Aktualität? „Im ungünstigsten Fall kann es passieren, daß man mit der Print- Ausgabe einen billigen Tarif verpaßt. Aber den haben wir dann in der nächsten Ausgabe – und im Internet sowieso“, erklärt Mois. Daß die Gebührenzähler noch keine alten Zeitungsprofis sind, ist der ersten Ausgabe anzumerken: verschämt gibt Mois zu, daß sie dummerweise die Tarife für die Türkei vergessen haben. Naja, dann eben nächstes Mal.

Derlei Kleinigkeiten sollte man aber ohne weiteres übersehen – verströmen die Jungunternehmer doch einen Aufbruchgeist, den man in der deutschen Zeitungslandschaft lange vergeblich gesucht hat – publizistisches Draufgängertum. „Noch nie“, sagt Mois, „hat eine Zeitung den Mut gehabt, die kompletten Tarife für Finnland abzudrucken.“ Das also wollen die Menschen. Stefan Kuzmany