: Eingesperrt, mißbraucht, anerkannt
■ Trotz eines Präzedenzurteils – auch Kanada und die USA haben geschlechtsspezifische Verfolgung nicht im Katalog der Asylgründe
Fauziya Kasinga ist eine der fünf Töchter von Hajia und Muhammad Kasinga aus dem westafrikanischen Togo. Kasingas Wohlstand erlaubte der Familie einen an den Sitten dieses Volkes gemessen eher untypischen Lebensstil. Vater Kasinga ersparte seinen Töchtern die genitale Verstümmelung und arrangierte auch keine Ehen für sie. Doch im Jahre 1993, als Fauziya gerade 17 und noch unverheiratet war, starb Herr Kasinga. Der Sitte entsprechend wurde seine Schwester zu Fauziyas Vormund bestellt. Und die arrangierte sogleich eine Ehe mit einem 26 Jahre älteren Mann, der darauf bestand, daß Fauziya beschnitten wurde.
Als alles Bitten von Fauziya und ihrer Mutter nichts half, schenkte Hajia Kasinga der Tochter einen großen Teil ihrer Erbschaft, damit sie fliehen konnte. Fauziya reiste nach Deutschland, erwarb einen gefälschten US-Paß und flog in die USA. Dort beantragte sie Asyl – und wurde eingesperrt. Im August 1995 lehnte ein Richter ihr Asylbegehren als unbegründet und unglaubwürdig ab. Ihre Rechtsvertreterin, eine Jurastudentin, wandte sich hilfesuchend an ihre Professorin Karen Musalo von der American University in Washington. Die erklärte sich bereit, die Berufungsinstanz, das Board of Immigration Appeals (BIA), anzurufen. Musalo brachte nicht nur die unmenschliche Praxis der Beschneidung zur Sprache, sondern auch die Bedingungen, unter denen Fauziya Kasinga seit zwei Jahren in einem Gefängnis der Einwanderungsbehörde gehalten wurde; die junge Frau wurde von Gefängniswärtern mißbraucht.
Im Juni 1996 entschied das Gericht, daß der 19jährigen Fauziya Asyl zu gewähren sei. Damit ist die Furcht vor der Beschneidung zwar nicht automatisch ein Asylgrund, gleichwohl aber schafft das Urteil einen Präzedenzfall, den Richter zu beachten haben. Ein kanadisches Gericht hatte schon 1993 Khadra Hassan Asyl gewährt, die mit ihrer zehnjährigen Tochter Hodan aus Somalia geflohen war, um deren Genitalverstümmelung zu verhindern. Beide Urteile stellen einen Durchbruch dar.
Zwar erkennen die kanadische und die US-Einwanderungsbehörden die Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, nationaler Herkunft, politischer Gesinnung sowie Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen als Asylgründe an. Verfolgung aufgrund des Geschlechts aber stand bisher nicht im Katalog. Das 1994 vom US-Kongreß verabschiedete Gesetz über Gewalt gegen Frauen war ein erster Schritt. Es erwähnt ausdrücklich Immigrantinnen (legale und illegale) und erlaubt mißbrauchten Frauen, Anträge auf Einbürgerung zu stellen – auch ohne die sonst erforderliche Bürgschaft der Familie des Gatten.
1995 legte eine Kommission zur Untersuchung der Lage von Frauen und Kindern, die aus ihrem Land fliehen mußten, einen Bericht unter der Überschrift „Freiheit verweigert“ vor. Darin wies sie empörende Zustände in US-Gefängnissen nach, in denen Frauen von Wärtern oder Mitgefangenen mißhandelt und mißbraucht wurden. Unter dem Druck mehrerer Skandale – zu dem auch die Verweigerung des Asyls für eine albanische Frau zählte, die vergewaltigt worden war, weil ihr Mann den Dienst mit der Waffe verweigert hatte – stellte die Einwanderungsbhörde einen Katalog von Verbrechen gegen Frauen auf, die als Asylgründe in Betracht gezogen werden sollten.
Peter Tautfest
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