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■ Schule der Attentäter

 Ein Transvestit wird gejagt: der 36jährige „Jürgen“ alias „Samir F.“. Eine autonome Husche, die – wo sonst, wenn man Bielefeld seine Heimatstadt nennt – in Berlin ihr Zuhause gefunden hat. „Berlin sucht den Mann im Rock“, fahndet Bild nach dem Attentäter, der einen Farbbeutel auf den Bundesaußenminister warf.

  Wenn ich in der Szene der Assassinen etwas zu sagen hätte, würde ich eine Schule der Attentäter einrichten. Neben den obligatorischen Lehrveranstaltungen zur „praktisch-technischen Umsetzung“ und „Geschichte des Attentats“, den Seminaren „Motivation“ und „mediale Nachbereitung“ würde ich „Das äußere Erscheinungsbild“ als zwingendes Hauptfach einführen. Was nach dem Fischer-Anschlag dringender denn je vonnöten scheint: Die Bielefelder Attentäterin sah schlicht incroyable aus. Herostratos hätte sich angeekelt abgewandt. Wenn transe schon die Möglichkeit hat, einmal auf der ersten Seite der wichtigsten Boulevardzeitung Europas abgebildet zu werden, dann doch bitte nicht in abgeschabten Springerstiefeln, grobgrauer Wollstrumpfhose, mausköttelgrauem Mutti-Faltenrock, im knäckebrotbunten Norwegerpullover, mit durchfallbraunem Schal um den Hals und – der Höhepunkt – einem witwenschwarzen Deckel auf dem Kopf, der bei Fischers Sicherheitsbeamten sofort hätte Topfalarm auslösen müssen. Note: sechs! Setzen!

 Aber auch die mediale Nachbereitung des Trommelfellzerstörers weist deutliche Mängel auf. Aus dem Untergrund ruft „Jürgen“ in der Redaktion der Springer-Postille B. Z. an und nennt die Ohrverletzung Fischers erwartungsgemäß einen „Kollateralschaden“. Das Bundesaußen-Ohr ist also genausoviel wert wie die im Nato-Jargon „weiche Ziele“ genannten Bombenopfer in Jugoslawien? Wer das Königreich der Ironie betritt, sollte nicht den Hofnarren spielen. Aber was soll man von solchen Autonomen, die als Hauptziel das „Herz der grünen Partei“ treffen wollten, anderes erwarten.

 „Die Verletzung war nicht das Ziel der Aktion“, winselt die militante Tucke in den B. Z.-Hörer, um kurz darauf ein verpecktes Pathos anzustimmen: „Ich bereue nichts.“ Auch noch stolz auf eine halbgare Tat. Nein, dieser Edith-Piaf-Imitator gehört nicht in die Hände des Staatsanwalts. Der „rote Spatz von Berlin“ sollte wegen eines akuten Anfalls von Herostatentum von seinen autonomen Genossen vor ein Schnellkiezgericht gestellt werden – Urteil: lebenslänglich Bielefeld. Michael Ringel

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