: Wie Vergewaltigung instrumentalisiert wird
■ Scharping und Fischer nutzen Gewalt gegen Frauen für ihre politischen Zwecke
Als Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) am 1. Mai auf einer Gewerkschaftskundgebung auftrat, gab es „Mörder, Mörder“-Rufe aus dem Publikum. Die ProtestiererInnen, behauptete Scharping erregt, sähen die Realitäten im Kosovo – „Mord und Vergewaltigung“ – nicht.
Wenige Tage zuvor hatte Scharping den Medien (in ihrer Herkunft umstrittene) Bilder von ermordeten Kosovaren präsentiert und dabei die Vergewaltigung von Mädchen ab zwölf Jahren als alltägliche Untaten serbischer Soldaten bezeichnet.
„Wo ist das Recht der vergewaltigten Frauen?“ rief der grüne Außenminister Joschka Fischer im Bundestag aus, als die PDS die Nato-Kampfeinsätze kritisierte – auch den Kriegsgegnern auf dem Sonderparteitag der Grünen hielt er Vergewaltigungen als den Gipfel der Greueltaten entgegen.
Sex sells. Die Nachricht von Vergewaltigungen, gern auch gesteigert zu „Massenvergewaltigungen“, wird als rhetorisches Instrument zur Rechtfertigung der Nato-Einsätze verwendet – um so mehr, je schwieriger es für die rotgrünen Regierenden wird, ihre Rolle als Mitglied der Wertegemeinschaft Nato zu verkaufen.
Die ministerliche Inszenierung des heiligen Zorns steht dabei in Kontrast zur pannen- und golfkriegsgeläuterten Selbstreflexivität der seriösen Medien, die das Thema Vergewaltigung mit mindestens ebenso großer Vorsicht behandeln wie alle anderen Berichte, die aus dem Informationsloch Kosovo in die Redaktionen gelangen.
Die Rede von Vergewaltigungen ist weniger von aktuellen Fakten aus dem Kosovo gestützt, als vielmehr von den Erfahrungen des Bosnienkriegs 1992. Damals erzeugten die Informationen von Vergewaltigung als Mittel zur ethnischen Säuberung genau den „Aufschrei“ der Öffentlichkeit, den die rot-grünen Minister jetzt zu provozieren versuchen.
Doch der Vergleich mit dem Bosnienkrieg 1992/93 zeigt auch, warum das nicht klappt: Damals waren es die Medien, in Deutschland das TV-Frauenmagazin „Mona Lisa“, die für die Verbreitung der Nachricht von Vergewaltigungen sorgten. Die Regierungen schwiegen dazu, denn sie wollten in den Krieg nicht eingreifen. Die Staatengemeinschaft, schreibt Alexandra Stiglmayer im von ihr herausgegebenen Buch „Massenvergewaltigung“ (1993), habe das Kriegsverbrechen der Vergewaltigung „nur oberflächlich untersucht“. Stiglmayer hat Zeugen: Der Mitarbeiter des US-amerikanischen Außenministeriums George Kenney begründete seine Amtsniederlegung im August 1992 damit, daß sein Aufgabenbereich darin bestanden habe, Fakten über Greueltaten schlicht zu ignorieren, um „das politische Ziel der Nichteinmischung aufrechtzuerhalten“.
Den Handlungsdruck, der 1992 nicht aufkommen sollte, versuchen die Minister heute auf dem Wege der Nachträglichkeit herzustellen: Einmischung oder Nichteinmischung ist der Maßstab der Regierungen für die Verwertung von Informationen.
Das hat Auswirkungen auf die Nachricht selbst: 1992 verlieh das unterstellte Kalkül der Regierungen den Schreckensberichten erst ihre Brisanz und Glaubwürdigkeit. Die Rhetorik Scharpings und Fischers bewirkt heute das Gegenteil. Ulrike Winkelmann
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