: Keine erneute Befragung der Israelis
■ Es häufen sich Hinweise, die gegen die These der Sicherheitsbeamten sprechen, sie hätten nur innerhalb des israelischen Generalkonsulats in Berlin am 17. Februar und nur in Notwehr vier Kurden tödlich verletzt. Dennoch will die Staatsanwaltschaft das Verfahren um die Todesschüsse jetzt einstellen
Die Affäre um die Todesschüsse vor und im israelischen Generalkonsulat Mitte Februar in Berlin weitet sich zu einem Justizskandal aus.
Obwohl die Zweifel an der offiziellen israelischen Version, wonach zwei Sicherheitsleute des Konsulats „in Notwehr“ gegen anstürmende Kurden geschossen hätten, mittlerweile äußerst massiv sind, beabsichtigt die Berliner Staatsanwaltschaft, „das Verfahren alsbald ohne erneute Befragung der Sicherheitsbeamten und ohne Vornahme einer rechtlichen Bewertung“ einzustellen. So steht es in einem vertraulichen Schreiben der Justizverwaltung der Hauptstadt an das Bundesjustizministerium, das der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt. Der Grund: Wegen des konsularischen Status der mutmaßlichen Todesschützen liege ein „Verfahrenshindernis“ vor.
Hinzu kommt, daß der Berliner Oberstaatsanwalt Hansjürgen Karge in den Verdacht gerät, dem Abgeordnetenhaus entscheidende Aussagen von einem der Sicherheitsmänner verschwiegen zu haben – darauf deuten Zeugenaussagen eines Israelis gegenüber dem Berliner Staatsschutz hin, die der Spiegel am Wochenende vorab veröffentlichte. Bei der Schießerei am israelischen Generalkonsulat in der Grunewalder Schinkelstraße waren am 17. Februar mindestens 16 Kurden verletzt worden, vier von ihnen tödlich.
In dem Schreiben erklären die Berliner Beamten, daß „in diesem Verfahrensstand“ die „vorhandenen Beweismittel nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ausgeschöpft“ seien. Weiteren Ermittlungen stehe auch der „konsularische Status der Sicherheitsbeamten entgegen“. Der Schutz könne allein durch den Verzicht Israels aufgehoben werden, schreibt die Justizbehörde.
Als „nicht überzeugend“ werten die Ermittler zudem die Angaben eines Sicherheitsbeamten auf der Außentreppe beziehungsweise im Windfang des Generalkonsulats. Dessen Schilderung ließe sich „nicht mit objektivierbaren Beweismitteln in Einklang bringen“.
In der offiziellen Version der israelischen Seite war stets davon die Rede gewesen, daß die Sicherheitsleute nur innerhalb des Konsulats und in Notwehr geschossen hätten – ein einziger Schuß sei von innen nach außen gegangen, als ein Warnschuß in die Luft.
Der Botschafter Israels in Bonn, Avi Primor, hatte am Freitag gegenüber der taz an dieser offiziellen Version festgehalten. Er betonte jedoch, daß die beiden Sicherheitsleute jederzeit wieder einer neuen Befragung durch deutsche Behörden zur Verfügung stünden.
Dennoch verdichten sich die Hinweise, daß die Notwehr, mit der die Israelis stets ihr Verhalten zu legitimieren suchten, zumindest für das Geschehen außerhalb und im Eingang des Konsulats kaum mehr zu halten ist. Nach einer Zeugenaussage eines der Israelis, die dem Spiegel vorliegt, habe der Berliner Staatsschutz schon am Morgen nach der Bluttat von ihm erfahren, daß sein Kollege „mit seiner Waffe nach draußen“ geschossen habe. Auch die Aufnahmen eines Polizeivideos, das Ende der Woche dem SFB zugesteckt wurde, weisen darauf hin, daß drei der vier tödlich verletzten Kurden auf der Treppe zum Konsulat getroffen wurden – mindestens eine der Toten, die 18jährige Sema Alp, offensichtlich auf der Flucht. Oberstaatsanwalt Karge hatte bei seinem Bericht für den Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses Anfang März trotz der Aussagen des Israelis lediglich von einer „Diskrepanz zwischen den Angaben der beiden israelischen Sicherheitskräfte und zahlreichen deutschen Polizeibeamten“ gesprochen.
Karge war am gestrigen Sonntag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Der Abgeordnete Frank Ebel, ein SPD-Vertreter im Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des Geschehens am israelischen Konsulat, wollte sich zu den Vorwürfen gegenüber Karge nicht äußern, bevor entsprechende Unterlagen dem Ausschuß vorlägen. Philipp Gessler
Kommentar S. 10
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