piwik no script img

Kriegsfotographie im 20. Jahrhundert

■ Sie gehen an die Front, weil sie den Krieg lieben. Sie fotographieren den Krieg, damit das Leiden etwas kürzer dauert

Kriegsfotographie ist der Gebrauch, den man von ihr macht. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts hoffen Kriegsreporter, daß ihre Bilder die Welt verbessern könnten. Doch das ist der größte Kinderglaube der Fotographie. Wenn es ein Kriegsphoto gäbe, nach dessen Anblick kein Krieg mehr denkbar wäre: Es würde nicht erscheinen. Die Kriegsfotographen kämpfen auf verlorenem Posten. Sie kämpfen mit dem Zensor, der ihre Aufnahmen konfisziert, und sie kämpfen mit ihrer Redaktion, die keine Greuelbilder zu veröffentlcihen wagt. Sie kämpfen gegen Regierungen, die ihre Bilder für die Propaganda ausbeuten, und gegen das kurze Gedächtnis der Welt, das ihre Fotos in den Archiven vergißt, während die Militärs zu neuen Kriegen rüsten.

Fünfundsiebzig Jahre dauerte es, bis die Bilder den Krieg als das zeigten, was er ist: ein Schlachthaus der Geschichte. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts standen die Fotographen dem Sterben noch fassungslos gegenüber. Eine Art Berührungsangst hinderte die ersten Kriegsfotographen daran, den Gefallenen zu nahe zu kommen. Zwischen der Kamera und den Toten lag ein Niemandsland, das die Fotographen nicht zu überschreiten wagten.

Bilder vom Sterben sahen die Bürger Europas auch während des Ersten Weltkrieges nicht. Die Zensoren der kriegsführenden Nationen erstickten jedes journalistische Engagement. Die oberste Regel hieß: Anonymität. Anonym blieben die Fotographen; ihre Namen wurden auf der Rückseite der Bilder getilgt, ausgekratzt, gestrichen. Anonym starben die Soldaten; sie hatten auf den Fotographien kein Gesicht, keine Identität. Sie starben Niemandstode für das Grabmal des Unbekannten Soldaten.

„Was die Öffentlichkeit vom Ersten Weltkrieg zu Gesicht bekam“, schrieb Henry Miller, „war vom Zensor kastriert und mit Laysol besprüht.“

Die Leiden des Krieges wagte selbst im Zweiten Weltkrieg keiner der Alliierten zu zeigen. „Bomben fielen vorzugsweise bei strahlender Sonne, und man durfte zwar ein bißchen Leiden zeigen, das durch die Angriffe der anderen verursacht worden war, aber nie zuviele, um nicht Mitleid hervorzurufen“, erinnert sich John Morris, damals Bildredakteur bei „Life“. Seine Bemerkung trifft alle am Krieg beteiligten Mächte.

Bilder gegen den Krieg wurden bewußt erst in Korea und Vietnam geschossen, und sie wurden auch veröffentlicht.

Im Gegensatz zu allen Kriegen zuvor wollten die Kriegsfotographen in Vietnam mit ihren Bildern krankmachen, aufstören, schockieren. Ihre Fotographien waren eine Ermittlung gegen die Epoche. Niemals zuvor war die Nachfrage nach Kriegsbildern so groß. Auf dem Höhepunkt der TET-Offensive hatten sich 637 Kriegsreporter beim US-Hauptquartier in Saigon eingeschrieben, gingen zu Pressekonferenzen, flogen mit Hubschraubern zum Einsatz, kabelten ihre Berichte in die Zeitungsmetropolen und schickten ihre Bilder per Luftfracht und Bildfunk nach Übersee.

Saigon war der größte Bildermarkt der Welt. Hier hatten die großen Nachrichtenagenturen ihre Büros, wo die Bildfunkgeräte surrten, hier kamen Vietnamesen in die Hotel-Foyers und boten Polaroidaufnahmen von Gefallenen an, hier hielten Bildbeschaffer Hof und ersteigerten auf regelrechten Auktionen Fotos für ihre Magazine und Fernsehanstalten.

Die Fotographen schwärmten an alle Fronten des Dschungelkrieges aus. Oft war das letzte, was der sterbende Soldat in seinem Leben sah, die Zoom-Linse eines Reporters und das letzte, was er in seinem Leben hörte, das Schnurren einer Motorkamera „made in Japan“, die seinen Tod für die Abendnachrichten des Fernsehens aufzeichnete.

Im Vietnamkrieg erschienen die Bilder vom Krieg zum ersten Mal rechtzeitig. Zum ersten Mal fotographierten die Reporter nicht für Gott und Vaterland, sondern für die Opfer des Krieges. Zum ersten Mal konnte die Behauptung der „Life“-Redakteure nachgeprüft werden: „Wären wir früher in der Lage gewesen, rechtzeitig Bilder von der Judenvernichtung durch die Nazis zu drucken, Millionen wären gerettet worden.“

Im Frühjahr 1982 konnten die Kriegsfotographen ihre Hoffnung, gegen den Krieg anfotographieren zu können, aufgeben. Der Krieg um die Falklandinseln war wie ein Science-Fiction-Krieg, der irgendwo in der Galaxis stattfand. Er wurde durch Funksprüche gelenkt, durch Computer gesteuert und durch Laserstrahlen entschieden, und die Bilder vom Krieg wurden vor der Veröffentlichung von Presseoffizieren geprüft, von Zensurbeamten retuschiert oder von den Militärs auf Eis gelegt.

Als hätte es nie Bilder gegen den Krieg gegeben, nie Bilder vom Napalmtod in Vietnam oder vom Hungertod in Biafra, nie Bilder von verdurstenden ägyptischen Soldaten im Sechstagekrieg: Im Falklandkrieg wurde der schmutzige Krieg wegdesinfiziert.

Die Kriegsfotographie ist manchmal eine Art Pornographie. Wie bei den Stellen in Büchern, die uns schon als Kind erregten, geht es den Fotographen um die Stellen des Krieges, weil eine an Sensationsbilder, eine an die Schocks der Geschichte längst gewöhnte Öffentlichkeit nur noch durch Stellen erregt werden kann, durch die Peep-Show ins Elend.

Und so ist man in den Journalisten-Hotels enttäuscht, wenn nichts passiert und hängt schlechtgelaunt herum und wartet darauf, daß es endlich wieder losgeht, und so ist man glücklich, wenn die Flugzeuge auf die Stadt stürzen, töten. Dann kann man wieder seinen Job machen und fotographieren, wofür man bezahlt wird und gebucht. Das „war business“ floriert, und die größten Geschäfte macht man – wie in jedem Krieg – mit den Söldnern der Massenmedien. Die Preise steigen und fallen, je nachdem, ob der Kriegslärm anschwillt oder abnimmt. Haben die Militärs einen Waffenstillstand vereinbart, dann ist Baisse. Fallen Bomben auf die Stadt, dann ist Hausse, dann schnellen die Preise wieder in die Höhe.

In dem Krisenzirkus von Kriegsreportern, die von Engagement zu Engagement über die Kriegsschauplätze der Welt jetten, triffst du immer dieselben Gesichter: die Agentur-Fotographen von Magnum und Gamma, die Bilderjäger von United Press und die Kameramänner von CBS und ABC, und neu sind dir nur die „free lancer“, die Freiberufler, die in den Krieg ziehen, um auf eigene Faust Karriere zu machen und sich einen World-Press-Fotopreis zu schießen. Im Zeitalter der Massenmedien zeigen Kriegsbilder oft keine Menschen im Krieg, wie sie in Wirklichkeit sind, sondern Menschen im Krieg, die wissen, daß sie fotographiert werden. Vor der Kamera spielen die Soldaten die Rolle von Soldaten und die Kriegsopfer die Rolle von Kriegsopfern.

Es gibt ein Bild von Philip Jones Griffiths, auf dem ein Mann seinen verletzten Sohn auf dem Arm trägt, und es besteht kein Zweifel, daß der Mann wußte, daß er einen Mann darstellt, der seinen verletzten Sohn auf dem Arm trägt. „Er lief auf mich zu, und ich ging rückwärts, während ich fotographierte“, sagte Griffiths, „und der Mann wußte dabei verdammt gut, was ich tat. Und wenn du dir das Bild genau ansiehst, so entdeckst du, wie unnatürlich es ist, ein Kind so auf dem Arm zu tragen. Er trägt es nicht: Er streckt es mir hin.“

Auch die Soldaten können dem Medium Fotographie nicht mehr entkommen. Die Gegenwart der Kamera hat ihr Gehabe verändert: Es ist Krieg! Ihr Auftritt! Der Amerikaner, der nach Vietnam kam, hatte Hunderte von Kriegsfilmen und Western im Kopf, mit ihnen war er aufgewachsen, sie gehörten zu seiner visuellen Erziehung, und in Vietnam wandte er seine Erziehung eben an.

„Du weißt nicht, was ein Medienfreak ist, bis du gesehen hast, wie Soldaten in einem Gefecht herumrennen, wenn sie wissen, daß ein Fernsehteam in der Nähe ist“, schrieb Michael Herr, „in ihren Köpfen kurbeln sie richtige Kriegsfilme runter, führen im Kugelhagel kleine Mut-und-Ehre-Ledernacken-Steptänze auf, lassen sich die Rübe für den Sender runterschießen, ziehen ihre Nummer für die Kameras ab.“

Der Kriegsfotograph McGrath schwört sogar darauf, daß das Blutbad im Stadion von Dacca (Bangladesch) ohne die Anwesenheit von Fotographen nie stattgefunden hätte. Es wurde, so fürchtet er, für die Journalisten veranstaltet. Der Hauptredner einer Propagandaveranstaltung hatte vier Behari-Gefangene in der Menge entdeckt, als er das Stadion verlassen wollte. Mit einem Rudel von Fotographen im Schlepp trat er auf die Gefangenen zu, bespuckte sie, verbrannte ihre Haut mit brennenden Zigaretten und ließ sie am Ende mit Bajonetten zu Tode stechen. Ein paar Fotographen weigerten sich, die Lynchjustiz zu fotographieren, doch vier Kameras klickten die ganze Zeit. Zwei Fotographen bekamen später den Pulitzer-Preis für die Mordsbilder. In einer Zeit, da Bilder zu den verkaufbaren Produkten der Massenmedien gehören, sind auch die Bilder vom Krieg nur eine andere Art von Pin-up.

„Als du den toten Marinesoldaten mit dem Poncho über dem Gesicht fotographiertest und wußtest, daß du dafür Geld bekommst, warst du irgendein Schmarotzer“, schrieb Michael Herr, der Larry Burrows bei der Arbeit beobachtet hatte, „aber was warst du, als du den Poncho zurückzogst, um ein besseres Foto zu machen, und das vor seinen Freunden?“

Die Antwort: ein typischer Kriegsfotograph des 20. Jahrhunderts. Er ist durch den Windkanal eines Berufs gegangen, der zu den aufregendsten und zynischsten der Welt gehört. Er hat sich an das unglaubliche Privileg gewöhnt, komfortabel zu den Katastrophen der Geschichte zu jetten, mit einem Geldgürtel voller Dollarscheine, mit einer Brieftasche voller Kreditkarten und mit dem Rückflugticket in der Tasche. Rainer Fabian

Den Leuten ein X für ein U vormachen – wo ist die Zeitung, die diesen Druckfehler zugibt? K. Kraus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen