: Mutter, Mutter, Kind
Anna hat zwei Mütter. Barbara, ihre richtige. Und Ute, Barbaras Freundin. Eine Kleinfamilie mit speziellen Problemen. Denn eigentlich wünscht sich Anna einen Vater. Dabei mag sie ihre zweite Mutter. Über verschiedene Vorstellungen, was Familie sein soll ■ Eine Reportage von Angelika Dietrich
Das Praktische ist, daß Anna jedem das erzählen kann, was er hören will.
Wenn jemand die Achtjährige nach ihrem Vater fragt, dann sagt sie: „Meine Eltern sind geschieden.“ Wenn jemand zu Besuch kommt, mit dem Anna mittelgut befreundet ist, dann stellt Anna die Freundin ihrer Mutter als „Mitbewohnerin“ vor. Wenn eine ganz, ganz gute Freundin da ist oder wenn Anna bei Freunden der Mutter ist, so wie neulich, dann spricht sie stolz von ihren zwei Müttern. Sie muß ja nicht „jedem Dahergelaufenen“ erzählen, was Sache ist. Daß ihre Mutter lesbisch ist, nämlich.
In Annas Kinderwelt ist ziemlich viel Erwachsenenwelt hereingebrochen, in den letzten fünf Jahren. Erst ließen sich ihre Eltern scheiden, wegen der neuen Freundin ihres Vaters, dann hatte Barbara, Annas Mutter, ab und zu einen neuen Freund, „aber das war nicht so schlimm“, sagt Anna. Dann sagte ihre Mutter zu Anna: „Ich hab mich in Ute verliebt.“
Damit hatte Anna ein Problem.
Barbara nicht. Die ist irgendwann morgens aufgewacht und war in eine Frau verliebt. Daß daraus nichts wurde, ist nebensächlich. Barbara, die Wissenschaftlerin, war „völlig euphorisch“, lief in Frankfurt über die Einkaufsstraße und sah auf einmal nur schöne Frauen. „Es war, als hätte man einen Grauschleier weggezogen, der bis dahin auf der Hälfte der Bevölkerung lag“, sagt die Sechsunddreißigjährige. Dreizehn Jahre hatte sie heterosexuelle Beziehungen, „gute, wenn auch wechselnde“, wie sie sagt. Nach jenem Morgen voller Euphorie war Barbara monatelang unsicher, ob sie sich einen Mann oder eine Frau als Lebenspartner suchen sollte.
Bis ihr vor zwei Jahren die ein Jahr ältere Ute über den Weg lief. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagen Barbara und Ute.
Relativ schnell zog Ute, die Sozialpädagogin, bei den beiden ein. Sie, die nie über Kinder nachgedacht hatte, kam auf einmal „in eine Kleinfamilie rein“. Und war damit manchmal überfordert.
Ute hatte Angst. Vor Anna. „Ich wußte ja nicht, ob sie mich leiden kann.“ Damals dachte Ute noch: Wenn Anna unter mir leidet, gehe ich.
Ein ganz klein bißchen war ihr Kind vielleicht ein Störfaktor für ihre Beziehung, sagt Barbara, wobei „Störfaktor“ fast schon zu hart sei, wenn sie daran denke, was die anderen lesbischen Frauen aus der Müttergruppe so erzählten. Wo die Mutter ihr Kind rasch ins Bett steckt, wenn die Partnerin müde von der Arbeit heimkommt, wo die Freundin eifersüchtig ist auf das Kind und die Mutter quasi zwischen zwei Kindern steht, wo sich Paare nur sehen können, wenn ein Babysitter engagiert wird.
Bei Barbara und Ute kamen die Probleme unerwartet.
Abends. Wenn Barbara weggehen wollte und Ute sich zum Babysitter degradiert fühlte. Beim Mittagessen. „Anna, iß die Pommes nicht mit den Fingern!“ schimpfte Ute. Betroffen guckte Anna vom Teller hoch. Dachte trotzig, „die ist nicht meine Mama, die kann mir nicht alles befehlen“. Die Mutter nahm die Tochter in Schutz, fand ihre Freundin streng, lieblos, unmütterlich.
„Ich bin auch nicht die Mutter“, sagt Ute, „das mußt du lernen.“ Die Mutterrolle will sie nicht. Was ihre Rolle ist, weiß sie nicht. Bei Heteros sagt sie, sei das völlig klar: Der neue Freund der Mutter schlüpfe irgendwie in die Vaterrolle. Aber Vater sein kann sie nicht, will sie auch nicht. Was also ist sie? Die Pädagogin ist hilflos. „Wir üben noch“, sagt sie. Sie ist Ute, sagt Anna. Die sie, Anna, nach einem Streit mit Barbara verwöhnen muß, damit Ute nicht denkt, sie hält zu Mama.
Am Anfang fand Anna die Freundin ihrer Mutter „eher blöd“. War eifersüchtig, wollte ihre Mutter für sich haben. Genauso, als wenn ein Mann die alleinerziehende Frau kennengelernt hätte.
Anna ist mit Homosexualität aufgewachsen. Barbara hatte lesbische Freundinnen, schwule Freunde. Dann hatte ihre Mutter plötzlich eine Freundin und Anna doch ein Problem. Sie war bedrückt, traurig. Mit ihrer Mutter, der sie sonst immer alles erzählt hatte, konnte sie darüber plötzlich nicht mehr reden. Stand morgens um sieben allein, fertig angezogen in der Küche und weinte.
So fand Ute sie.
Geholfen hat da Annas Vater. Der redete lange mit der gerade Siebenjährigen, fragte sie, ob sie es schlimm finde, daß ihre Mutter lesbisch sei. Anna sagte damals, die anderen Kindern, die riefen: „Du bist ja schwul“ oder „Hey, du Schwuler!“ In Annas Welt ist „schwul“ ein Schimpfwort. „Ich schäme mich schon noch“, sagt sie jetzt ganz leise und guckt auf die Tischplatte. Das ist Barbara neu. „Warum, was könnte passieren?“ fragt sie. „Ich hab Angst, daß sie dich blöd finden.“ „Ach, Anna“, sagt ihre Mutter, „das macht mir nichts, wenn die mich blöd finden. Oder meinst du, die finden dich dann auch blöd?“
„Hmm, nein“, sagt Anna und zwirbelt ihre blonden Haare. „Ich kann ja nix dafür. Aber erstens tust du mir dann leid, und zweitens bist du es ja, die sie blöd finden.“ Nicht irgendeine Mami, sondern Annas Mami.
Die hat ihr Lesbischsein nicht versteckt. Als sie und Ute in Frankfurt eine neue Wohnung gesucht haben, haben sie sich von Anfang an als Paar vorgestellt. Der erste Vermieter rief sie daraufhin nicht zurück, die zweite hatte lediglich Bedenken, ob die beiden Frauen denn auch mal was reparieren könnten. Sie bekamen die Wohnung. Als sie sich im Freundeskreis und bei der Familie outete, hatte sich Barbara auf Vorurteile und Diskriminierung eingestellt – und war überrascht, daß selbst ihre konservativsten Freundinnen weiter mit ihr befreundet blieben. Barbaras Eltern laden Ute an Weihnachten mit ein. Barbara nahm Ute zu den Elternsprechstunden mit, stellte sie den Lehrern als „meine Freundin“ vor, auf dem Klassenfest der Schule, wo Eltern und Kinder gemeinsam zelteten, kroch Barbara eben mit Ute ins Zelt, die andern Mütter mit ihren Ehemännern.
„Ich muß doch nicht sagen: Hallo, wir sind ein lesbisches Paar! – Die Leute haben's auch so geschnallt“, meint Ute. Und erzählt, wie vor kurzem, als sie beruflich in Annas Schule zu tun hatte, Annas Mathelehrer zu ihr kam und sagte, sie solle doch mit Anna ein bißchen Schnellrechnen üben. Es war das erste Mal, daß sie jemand als Erziehungsberechtigte Annas angesprochen hat. Klar hat sich Ute gefreut. Ihre Augen leuchten, wenn sie davon erzählt.
Juristisch gesehen hat Ute kein Recht, Auskunft über Annas Schulleistungen zu bekommen. Oder sollten Barbara und Anna einen Unfall haben und im Krankenhaus liegen, bekäme Ute keine Auskunft von den Ärzten und dürfte im Namen Barbaras auch keine Entscheidungen treffen, weil sie als Lebensgefährtin laut Gesetz keine Angehörige von Barbara ist.
Ute würde nicht einmal einen Pflichtteil von Barbaras Erbe bekommen, in der Erbfolge sind nur Angehörige des Verstorbenen berücksichtigt. Stürbe Barbara, auf die der Mietvertrag läuft, könnte Ute aus der Wohnung fliegen, weil sie keine Angehörige ist. „Aber bei unserer Vermieterin, sagt Barbara, hab ich keine Sorgen.“
Die Sache mit dem Auskunftsrecht aber wollen sie jetzt so schnell wie möglich notariell regeln. Um Verheirateten wenigstens ein bißchen gleichgestellt zu sein.
Vom Gefühl her, sagt Ute, würde sie Barbara sofort heiraten. Aber dann wäre sie registriert. Als Lesbe registriert. Das macht ihr angst. Ute spricht von der Verfolgung Homosexueller durch die Nazis, sie spricht von Fällen, wo Karteikarten aus Frauenzentren geklaut und die Lesben dann systematisch zusammengeschlagen wurden.
Aber sie träumt ihn, den „Traum von Familie“, zusammen alt werden, das Kind wachsen sehen, zusammen Federball spielen. Sich freuen, wenn sie nach Hause kommt und Anna ihr entgegenläuft. „Nur weil ich keine Hetera bin, muß ich doch nicht allein alt werden“, meint Ute.
Wenn es technisch ginge, hätte das Paar gerne ein Kind zusammen. Irgendwo hat Barbara gelesen, daß man aus den Eizellen von zwei Frauen ein Kind zeugen könne. „Das arme Kind!“ ruft Anna. „Nicht wegen der zwei Mütter, sondern weil das ja dann gebastelt ist – ich bin wenigstens ohne Basteln geboren.“ Zu Annas Familienmodell gehört ein Mann. Alle zwei Wochen besucht sie ihren Vater – wie ein normales Scheidungskind. Für sie wäre es schlimm ohne diese Besuche.
In Barbaras Familienmodell ist eine Frau an den Männerplatz getreten – und Barbara ist auf einmal das typische Weiblichkeitsbild, „ich bin schwach und ohnmächtig“, los. Sie muß sich keine kurzen Röcke mehr anziehen und Nylonstrümpfe und hohe Schuhe; das gefiel ihrem Mann, und man will dem Menschen, den man liebt, ja gefallen, sagt Barbara. Aber sie kam sich vor wie ein „hübsch verpacktes Praliné“.
In der Erziehung von Anna hat sich nichts verändert, findet Barbara. Ute ist die Strengere, wie früher Barbaras Mann der Strengere war. „Die strenge Komutter, die ständig was rumzunörgeln hat“, ergänzt Ute. Zwar brauche ein Kind aus einer heterosexuellen Beziehung seinen Vater, meint Barbara. Aber das wichtigste sei doch, daß ein Kind Halt, Unterstützung, Zuspruch und Liebe bekomme. Egal ob von zwei Frauen oder zwei Männern oder von Frau und Mann.
Vor ein paar Tagen war eine Freundin von Anna zu Besuch. Als sie Barbara und Ute zusammen sah, fragte sie Anna: „Sind Barbara und Ute schwul?“ Anna konterte: „Das heißt nicht schwul, das heißt lesbisch.“ Das saß.
Die Namen der Frauen sind geändert.
Angelika Dietrich, 28, arbeitet als freie Reporterin in München.
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